
28. Mai 2025
Innovation in der digitalen Bildungslandschaft
„Von Vision zu Veränderung – Ein Gespräch mit …“ ist unser Interviewformat, mit dem wir jeden Monat mit spannenden Bildungsprotagonist:innen in den Austausch treten und deren Blick auf das Bildungssystem erhalten wollen. Dabei wollen wir sowohl über aktuelle Themen sprechen als auch von den Visionen erfahren, die unsere Gesprächspartner:innen für das Bildungssystem haben.
Berlin/Tübingen. 28. Mai 2025 Florian Nuxoll ist Lehrer für Englisch und Gemeinschaftskunde an der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen, parallel entwickelt er an der Universität Tübingen Intelligente Tutorsysteme für den Fremdsprachenunterricht mit. Darüber hinaus setzt er sich als Autor und Moderator des Podcasts „Doppelstunde“ mit aktuellen Fragen der zu Chancen und Risiken digitaler Bildung auseinander.

Das Interview mit Florian Nuxoll
Zu Beginn interessiert uns, wieso Sie überhaupt im Bildungsbereich gelandet sind. In Ihrem Fall kommen mehrere Dinge zusammen: Sie sind Lehrkraft, wissenschaftlich tätig und betreiben einen Podcast – und alles dreht sich um Bildung. Was hat Sie ursprünglich motiviert, im Bildungsbereich tätig zu werden?
Die Frage, wie man Wissen und Kompetenzen sinnvoll vermittelt, hat mich spätestens ab der Mittelstufe immer wieder beschäftigt. Ich habe guten Unterricht erlebt – und schlechten. Und ich habe mich oft gefragt: Was macht eigentlich gute Bildung aus? Wie kann man Unterricht sinnvoll gestalten? Ich bin dann nach Tübingen gegangen, um auf Lehramt zu studieren, hatte aber immer auch ein Interesse an der Wissenschaft. Gleichzeitig war für mich klar: Ich möchte mit einem Bein in der Schule bleiben. Vor etwa sechs, sieben Jahren ergab sich dann die Möglichkeit, bei einem Projekt im Bereich Künstliche Intelligenz mitzuarbeiten – konkret zu intelligenten Tutorensystemen. Ich hatte zuvor schon Fachdidaktik an der Uni unterrichtet, und die Computerlinguistik an der Uni Tübingen suchte Unterstützung.
Inzwischen bin ich zu 50 % an der Universität und zu 50 % an der Schule tätig. Ich versuche, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen. Oft ist es so, dass die Theorie interessante Dinge untersucht, die aber im Schulalltag kaum Relevanz haben. Als Lehrkraft ist man mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert. Ich kann diesen Praxiseinblick in die Theorie einbringen – und umgekehrt auch wissenschaftliche Erkenntnisse in den Schulalltag tragen.
Wenn Sie nun mit diesen beiden Perspektiven – aus Schule und Wissenschaft – auf das deutsche Bildungssystem schauen: Was ist aus Ihrer Sicht derzeit die größte Herausforderung?
Es gibt natürlich viele Herausforderungen. Ein zentrales Thema ist die zunehmende Heterogenität in den Klassen. In Tübingen zum Beispiel haben wir Übergangsquoten von bis zu 80 % aufs Gymnasium – da müssen wir als Gymnasiallehrkräfte erst einmal lernen, mit dieser Vielfalt umzugehen. Ein weiteres Thema, das bei uns noch nicht ganz so stark angekommen ist, aber etwa in den Grundschulen schon sehr präsent: Ungefähr 30 % der Kinder haben einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend . Wie gehen wir damit um? Wie können wir diese Kinder wirklich mitnehmen und für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen? Und dann gibt es die technologische Transformation. KI verändert sowohl die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler – im Hinblick auf Studium und Arbeitswelt – als auch den Unterricht selbst.
Zugleich bietet KI enorme Möglichkeiten: Mit Expertensystemen kann individuelles Lernen auf einem Niveau gefördert werden, das für eine einzelne Lehrkraft schlicht nicht leistbar ist. Ich unterrichte teilweise bis zu 300 Schüler:innen – ich kann unmöglich jederzeit wissen, wo jeder Einzelne steht. Ein intelligentes System kann mir helfen, diesen Überblick zu gewinnen und den Lernenden passgenaue, wirksame Aufgaben bereitzustellen. Das ist ein riesiger Fortschritt.
Dem gegenüber steht jedoch ein nicht sehr agiles System in Deutschland. Mit den drei Ebenen – Kommune, Land, Bund – ist oft unklar, wer zuständig ist bzw. sein will, und niemand möchte die Kosten tragen. Diese Strukturen müssen aufgebrochen werden, denn wir stehen vor einer tiefgreifenden Transformation. Dafür brauchen wir Veränderungsbereitschaft auf allen Ebenen – und diese Veränderung sollte möglichst klug durchdacht und wissenschaftlich begleitet sein.
Ich höre heraus: Es geht um politische, wirtschaftliche, aber auch kulturelle Dimensionen – etwa, wenn es um Wahrheit im öffentlichen Diskurs geht. Sie sagten bereits, es müsse wissenschaftlich begleitet und zugleich zügig umgesetzt werden. Als jemand, der sowohl Schule als auch Forschung kennt: Wie können wir diese Herausforderung disziplin- und systemübergreifend angehen?
Das ist wirklich eine große Herausforderung. Ich würde sogar sagen: Die Wissenschaft blickt derzeit nicht zu weit in die Zukunft – sondern oft eher in die Vergangenheit. Das ist ein strukturelles Problem. Die Forschungsgeschwindigkeit ist viel zu langsam. Wenn ich heute eine Studie lese, die sich mit dem Einsatz von ChatGPT beschäftigt, dann hat sie oft noch GPT-3.5 als Grundlage – und das fühlt sich inzwischen an wie vor einer halben Ewigkeit. Wenn dann ein Ergebnis lautet „Das kann die KI nicht“, entsteht ein völlig verzerrtes Bild. Denn damals konnte sie das vielleicht nicht – heute ist sie schon viel weiter.
Wir brauchen deshalb einen ideologiefreien Zugang zu diesem Thema. Das ist natürlich schwierig. Viele bringen ihre über Jahre aufgebauten Überzeugungen mit und versuchen, die neuen Entwicklungen darauf anzupassen. Aber das funktioniert so nicht mehr. Was wir bräuchten, wäre vielleicht eine Art Bildungsrat – zusammengesetzt aus Praktiker:innen, aus reflektierten Wissenschaftler:innen, gern auch aus der Verwaltung. Dieser Rat müsste regelmäßig diskutieren: Wo stehen wir? Was müssen wir jetzt umsetzen? Was kann warten? Und wie können wir Entwicklungen aktiv mitgestalten? Entscheidend wäre dabei, dass die Politik diesen Rat auch ernst nimmt – und dessen Empfehlungen umsetzt.
Oder, ein anderer Weg: Wir bräuchten vielleicht mehr – oder zumindest andere – Pilotprojekte. Ich bin eigentlich kein Fan von klassischen Leuchtturmprojekten, weil man unter günstigen Bedingungen vieles zum Laufen bringt. Wenn man genug Ressourcen hat und sich die Lehrkräfte aussuchen darf, gelingt fast jedes Projekt. Aber wir brauchen breite Erprobungsräume. Also großflächige Projekte, in denen wir wirklich ausprobieren dürfen.
Und da kommt dann in Deutschland sofort das größte Hemmnis ins Spiel: die Rechtslage. Vieles, was wir machen, ist in letzter Konsequenz rechtlich nicht eindeutig zulässig. Microsoft-Produkte in der Schule? In manchen Bundesländern ja, in anderen nein. ChatGPT im Unterricht? Hier erlaubt, dort verboten. Wir brauchen da mehr Flexibilität. Das heißt nicht, dass wir rechtswidrig handeln sollen. Aber wir brauchen rechtssichere Räume für Erprobung. Wenn wir versuchen, alles absolut regelkonform zu machen, können wir am Ende fast gar nichts mehr tun. Und das wird auch international wahrgenommen: Ich bin viel in Europa unterwegs – und wir werden teilweise belächelt. Alle haben dieselben EU-Vorgaben, aber nur Deutschland legt sie so extrem restriktiv aus.
Hier möchte ich noch eine Frage anhängen – zum Umgang mit Daten. Als Stiftung beschäftigen wir uns schon länger mit Bildungsdaten, um besser zu verstehen, was möglich ist und wo die Grenzen liegen. Was denken Sie: Welche Arten von Daten sollten wir im Bildungskontext erheben dürfen – und welche eher nicht? Auf Basis Ihrer Praxisexpertise können Sie gut einschätzen, was sinnvoll ist und wo vielleicht auch ein Unbehagen entstehen kann.
Also Gefühle aufzuzeichnen und zu speichern – das halte ich aktuell zumindest in schulischen Kontexten nicht für sinnvoll. Solche Systeme könnten bei Problemen der mentalen Gesundheit potenziell frühzeitig Alarm schlagen – das ist aus präventiver Sicht natürlich spannend, aber gleichzeitig extrem sensibel.
Was wir aber auf jeden Fall brauchen – und das kann gerne pseudonymisiert erfolgen, es müssen keine Klarnamen gespeichert werden – ist ein kontinuierliches Monitoring des Lern- und Kompetenzstandes. Nur so kann individuelle Förderung gelingen. Wenn ich keinerlei Daten speichere, weiß ich nicht, wo ein Schüler aktuell steht, wie er sich entwickelt hat und was er als Nächstes braucht. Ohne diese Informationen ist individuelle Förderung nicht möglich.
Gleichzeitig müssen wir klar sagen: Diese Daten dürfen keinesfalls in die Hände von Unternehmen geraten, die daraus kommerzielle Vorteile ziehen. Wir müssen also sorgfältig abwägen: Wenn wir zu vorsichtig sind und andere Länder einfach loslegen, schaffen sie sich enorme Vorteile – und wir drohen, den Anschluss zu verlieren. Das wäre, als hätten wir während der industriellen Revolution gesagt: „Wir machen lieber nicht mit.“ Dann wären wir heute noch ein Agrarstaat.
Das heißt nicht, dass wir jetzt unbedacht alles mitmachen sollten. Aber wir brauchen einen europäisch abgestimmten Rahmen, der Innovation ermöglicht und gleichzeitig klare Grenzen zieht. Denn nur wenn Europa geschlossen auftritt, haben wir die Größe und das Gewicht, eigene Standards zu setzen und durchzusetzen. Andernfalls laufen wir Gefahr, im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden – trotz bester Absichten.
Ich würde gern noch einmal auf die Ebene der Schülerinnen und Schüler eingehen. Es gibt den Begriff des Cognitive Offloading – also die Auslagerung kognitiver Prozesse. Welche potenziellen Gefahren sehen Sie hier, wenn KI im Schulkontext nicht richtig oder unreflektiert genutzt wird?
Ich würde sogar sagen: Es geht nicht nur um eine nicht gekonnte Nutzung, sondern um eine scheinbar gekonnte – die aber in die falsche Richtung führt. Ich habe im vergangenen Jahr gemeinsam mit der KI selbst den Begriff Skill Skipping entwickelt. Das zentrale Problem ist: Ich selbst kann heute sehr effektiv und effizient mit KI arbeiten, weil ich mir über viele Jahre hinweg die nötigen Kompetenzen angeeignet habe – ohne KI. Ich kann ihre Ergebnisse einordnen, gezielt prompten, Feedback nutzen und Inhalte weiterverarbeiten. Bei Schülerinnen und Schülern ist das anders: Sie erstellen mit KI hervorragende Produkte – bessere Texte, bessere Präsentationen. Aber sie durchlaufen dabei nicht den eigentlichen Lernprozess. Sie überspringen den Weg dorthin.
Dabei geht es in der Schule selten um das Produkt selbst. Ob es nun der tausendste Aufsatz zum Thema Schuluniform – ja oder nein ist, ist letztlich nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Schülerinnen und Schüler lernen zu formulieren, zu strukturieren, zu argumentieren. Wenn die KI diesen Prozess übernimmt, bleiben genau diese Kompetenzen auf der Strecke – Skill Skipping eben.
Sie sagten, dass Sie selbst die nötigen Kompetenzen lange vor der KI gelernt haben. Was genau sind das für Fähigkeiten, die es braucht, um KI sinnvoll einsetzen zu können?
Zunächst ganz klassisch: Weltwissen, Sprachkompetenz, aber auch Soft Skills wie Zeitmanagement. Ein Beispiel: Ein Schüler sollte eine Präsentation halten und schrieb mir abends um acht über den Schulmessenger, er habe den Titel seines Themas vergessen. In Wahrheit hatte er noch gar nicht angefangen. Er ließ dann ChatGPT die Texte und Inhalte erstellen, nutzte Copilot für die Folien – und hatte am Ende eine Präsentation, die okay war. Aber gelernt hat er dabei nichts: kein Planen, kein Strukturieren, kein Recherchieren, keine Eigenleistung.
Sie sagten, dass Sie selbst die nötigen Kompetenzen lange vor der KI gelernt haben. Was genau sind das für Fähigkeiten, die es braucht, um KI sinnvoll einsetzen zu können?
Zunächst ganz klassisch: Weltwissen, Sprachkompetenz, aber auch Soft Skills wie Zeitmanagement. Ein Beispiel: Ein Schüler sollte eine Präsentation halten und schrieb mir abends um acht über den Schulmessenger, er habe den Titel seines Themas vergessen. In Wahrheit hatte er noch gar nicht angefangen. Er ließ dann ChatGPT die Texte und Inhalte erstellen, nutzte Copilot für die Folien – und hatte am Ende eine Präsentation, die okay war. Aber gelernt hat er dabei nichts: kein Planen, kein Strukturieren, kein Recherchieren, keine Eigenleistung. Auch Lesen, Schreiben, das Lernen von Fremdsprachen, kritisches Denken – all das braucht Zeit, Übung und Wiederholung. Wenn man zu früh auf KI zurückgreift, überspringt man genau diese Phasen. Und das kann später nicht einfach nachgeholt werden.
Gleichzeitig sind viele Kolleginnen und Kollegen noch gar nicht so weit, während Schülerinnen und Schüler KI-Technologien schon selbstverständlich einsetzen. Welche Rolle kommt der Lehrkraft in diesem Transformationsprozess zu?
Aus meiner Sicht ist die zentrale Aufgabe der Lehrkraft im Moment, Skill Skipping zu verhindern. Ich kenne viele Lehrkräfte, die lange begeisterte Nutzer von Tablet-Klassen waren – und die heute sagen: Ich muss das Tablet phasenweise ganz wegpacken. Denn sobald es im Unterricht da ist und ich nicht bei jedem Lernenden stehe, gehen sie auf DeepL oder lassen sich alles von ChatGPT schreiben.
Ganz ehrlich: Wir hätten das als Teenager doch auch so gemacht. Wenn es zu einfach ist, schnell eine Lösung zu bekommen – und dann ins Wochenende zu verschwinden –, dann macht man das. Man braucht als junger Mensch manchmal eine gewisse Begrenzung, um tatsächlich ins Lernen zu kommen.
Deshalb gebe ich ab Klasse 7 keine schriftlichen Hausaufgaben mehr auf. Stattdessen sollen die Schüler Podcasts hören, Texte lesen oder Videos anschauen – und wir arbeiten dann im Unterricht. In bestimmten Phasen ohne technische Hilfen, in anderen gezielt mit KI. Denn sie sollen ja auch lernen, wann und wofür man sie sinnvoll einsetzt.
Was ich im Moment besonders kritisch sehe – obwohl ich darüber noch weiter nachdenken müsste – ist, dass Schülerinnen und Schüler zunehmend persönliche Entscheidungen an die KI delegieren. Ein Schüler fragte kürzlich ChatGPT: Soll ich in München oder Münster studieren? Die Antwort war Münster. Und er sagte: „Okay, die KI ist ja objektiv.“ Dieses Vertrauen ist gefährlich. Das System gibt statistisch wahrscheinliche Antworten – keine begründeten Entscheidungen. Wenn die KI beginnt, psychologische Beratung zu ersetzen, wird es kritisch. Wer kontrolliert die Inhalte? Was, wenn ein Anbieter künftig bestimmte politische oder gesellschaftliche Themen ausblendet? Als Lehrkräfte müssen wir unseren Schülerinnen und Schülern vermitteln, wie generative KI funktioniert, was ein LLM (Large Language Model) ist, wo Stereotype reproduziert werden, welche Grenzen und Stärken es gibt. Das ist eine zentrale Bildungsaufgabe.
Denn dieses Skill Skipping greift zunehmend auch auf die emotionale Ebene über. Ich sehe eine große Gefahr der Vereinsamung. Wenn Jugendliche nach Hause kommen und der KI sagen: Ich hatte einen blöden Tag, dann bekommt man nach einiger Zeit empathisch klingende Antworten zurück. Aber das ersetzt keine echte Freundschaft.
Und wenn der Kontakt zu echten Menschen weniger wird, weil die KI immer zustimmt, nie widerspricht, nie reibt – dann verlernen junge Menschen, soziale Beziehungen zu gestalten. Und das ist langfristig eine sehr reale Gefahr.
Es geht also um den sozialen Kontakt unter Gleichaltrigen, aber bestimmt auch um die Beziehung zu Lehrkräften. Theoretisch sind Lehrkräfte zwar Ansprechpersonen, aber spätestens ab einem gewissen Alter werden sie nicht mehr als klassische Erziehungspersonen wahrgenommen. Wäre das nicht ein neuer Fokus: Lehrkräfte stärker auch emotional ansprechbar und begleitend zu denken?
Absolut. Wenn wir durch KI in bestimmten Bereichen entlastet werden, dann kann genau das unser Schwerpunkt werden: soziales Lernen und emotionale Begleitung. Ich würde sogar sagen, dass die Erziehungsfunktion heute wichtiger ist als noch vor ein paar Jahren. Ich merke das selbst im Unterricht – die Nachfrage der Schüler:innen nach emotionalem Support, nach Begleitung, nach einem Coaching oder Tutoring, ist deutlich gestiegen.
Das ist letztlich auch eine Frage, wie wir die Möglichkeiten der KI nutzen. Sie kann Bildung effizienter oder auch günstiger machen. Im schlechtesten Fall sagen die Kultusministerien: Ihr wurdet durch digitale Tools entlastet – dann erhöht sich eben das Deputat um 20 %. Dann wird es einfach nur billiger. Im besten Fall nutzen wir die digitale Dividende, um uns stärker um die einzelne Schülerin, den einzelnen Schüler zu kümmern. Denn die Zahlen zeigen klar: Ab der Pubertät nehmen psychische Belastungen und Erkrankungen massiv zu. Wenn wir als Lehrkräfte dann mehr Zeit hätten, könnten wir hier wirklich etwas bewirken. Und viele Kolleginnen und Kollegen wollen das ja – aber es fehlt schlicht an der Ressource Zeit.
Eine weit gefasste Frage zum Abschluss: Als Stiftung beschäftigen wir uns mit dem Begriff der „erfolgreichen Bildung in Digitalität“. Wir versuchen, Bildung in Digitalität über Studien zu analysieren und empirisch zu erfassen. Wenn Sie diesen Begriff definieren müssten – wie sähe erfolgreiche Bildung in Digitalität für Sie aus?
Erfolgreiche Bildung in Digitalität bedeutet für mich die Erziehung zum mündigen Bürger – sowohl im Hinblick auf den Arbeitsmarkt als auch auf die Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft. Ein mündiger Nutzer digitaler Medien weiß, wann er digitale Tools sinnvoll einsetzt – und wann nicht. Wann ist das Analoge der bessere Weg? Wann hilft mir KI, wann schadet sie dem Lernprozess? Das ist, glaube ich, zentral. Viele Schüler:innen nutzen KI-gestützte Tools, weil sie bequem sind – nicht, weil sie pädagogisch sinnvoll wären. Ich selbst hätte das in dem Alter vermutlich auch getan.
Es gibt gute Gründe, warum wir gewisse Dinge erst ab einem bestimmten Alter erlauben – etwa Alkohol ab 16. Genauso muss es auch Regeln geben, ab wann und wie KI oder soziale Medien genutzt werden dürfen. Denn: Nur weil ein Schüler ein gutes Produkt mithilfe von KI abliefert, heißt das noch lange nicht, dass er auch etwas gelernt hat.
Der Unterschied zwischen Einsicht und Handlung ist hier entscheidend. Alle meine Schüler:innen wissen, dass sie zu viel Zeit auf TikTok verbringen. Sie sagen selbst: Zehn Minuten TikTok am Abend sind die schönsten drei Stunden meines Tages. Sie wissen, dass es ihnen nicht guttut – und tun es trotzdem. Das ist bei vielen Süchten so: Die Einsicht ist da – aber die Umsetzung fehlt. Jugendliche schaffen es nicht allein. Und, ehrlich gesagt: Ich schaffe es auch nicht immer. Unsere Aufgabe als Lehrkräfte ist es, ihnen zu helfen, diese Einsicht in Handlung zu überführen. Das ist für mich ein zentraler Bestandteil erfolgreicher Bildung in der digitalen Welt.
Über die Vodafone Stiftung Deutschland
Die Vodafone Stiftung setzt sich für gute Bildung in einer zunehmend digitalen Welt ein, die auf die individuellen Talente und Fähigkeiten der Schüler:innen eingeht und Lehrkräfte für einen digitalen Unterricht befähigt. Die Stiftung engagiert sich für die Vermittlung von 21st Century Skills und eine bessere Nutzung der digitalen Chancen, um Lehren und Lernen auf eine neue Stufe zu heben und mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Dazu unterstützen wir die innovativen Kräfte im Bildungswesen und arbeiten konstruktiv an strukturellen Reformen des Bildungssystems mit. www.vodafone-stiftung.de