26. Juli 2022

Interview: Auf Kurs in die Zukunft – Nachhaltigkeit als roter Faden

Die Gustav-Heinemann-Schule in Rüsselsheim weiß genau, wo es langgeht! In dem Oberstufengymnasium zieht sich das Thema Nachhaltigkeit wie ein roter Faden durch alle Bereiche des Schullalltags. Ausgezeichnet als „MINT- freundliche Schule“ und „Smartschool“ hat sich die Bildungseinrichtung durch ihr herausragendes Engagement im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik in der bundesweiten Bildungslandschaft einen Namen gemacht. Innovative Ideen der Schüler:innen sind hier ausdrücklich erwünscht! Sebastian Wilhelm, IT- und Biologielehrer an der Schule, erklärt, warum das „T“ für Technik so wichtig ist und dass Lernende und Lehrende nur gemeinsam in der Lage sind, eine Schule nachhaltig zu verbessern.

In der Gustav-Heinemann-Schule wird ein besonderer Schwerpunkt auf MINT-Fächer gelegt. Steht diese Kombination auch in anderen Schulen in Deutschland auf dem Stundenplan?

An den meisten allgemeinbildenden Schulen in Deutschland kommt Technik als Thematik im normalen Fächerkanon nicht vor. Oder sie findet nur in Form von Arbeitsgemeinschaften statt. Oft scheitert es jedoch daran, dass es keine Lehrkräfte gibt, die bereit sind oder das Knowhow verfügen, freiwillig solche Kurse anzubieten. Insbesondere das `T‘, das für Technik steht, kommt an den Schulen viel zu kurz. Es gibt andere Fächer, die von den Bundesländern eingeführt werden, wie zum Beispiel das Fach `Glück‘. An das Fach Technik hat kaum einer gedacht. Dabei ist es unbedingt notwendig, Schülerinnen und Schüler im Zeitalter der Digitalisierung auch im technischen Bereich aus- und fortzubilden.

Mithilfe von Projekten, wie zum Beispiel den kostenlosen Workshops von Make Your School, werden die Schüler:innen gezielt an technische Herausforderungen herangeführt. Warum ist das wichtig?

Die Schülerinnen und Schüler lernen, übergreifende Problemlösungen zu entwickeln. Sie setzen sich intensiv mit Alltagsgegenständen auseinander. Wie funktioniert eine Schranke? Warum geht sie auf, wenn ich mit dem Auto davorstehe? Wie funktioniert eine Software oder eine Handy-App? Im Alltag werden all diese Dinge selbstverständlich genutzt, aber nicht hinterfragt. Wenn man selbst etwas nachbauen möchte, muss man sich Gedanken über die Technik machen, die dahinter steckt. Die Prototypen, die in den Projekten entstehen, greifen immer Problemstellungen aus der Sicht der Schüler:innen auf. Das ist für eine nachhaltige Schulentwicklung sehr wichtig.

STATEMENT

„Die vier Kompetenzen des 21. Jahrhunderts, Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation, werden gefordert und gefördert. Was ich besonders spannend finde ist, dass die Resilienzfähigkeit der Schüler:innen gestärkt wird. Sie lernen, weiterzumachen, auch wenn es mal nicht funktioniert.“

Sebastian Wilhelm
Gustav-Heinemann- Schule

Mit welchen Problemen beschäftigen sich Ihre Schüler:innen? Und wie werden daraus nachhaltige Lösungen für die Schule?

Unsere Schule soll ein Ort sein, an dem sich Lernende und Lehrende wohlfühlen. Wir sind dankbar darüber, wenn uns die Schüler:innen auf sinnvolle Veränderungsmaßnahmen aufmerksam machen. An unserer Schule gibt es beispielsweise einen sogenannten `Give and Take Automaten‘ für gebrauchte Stifte. Jedes ausgediente Schreibgerät wird dabei durch einen wieder funktionstüchtigen Stift ersetzt. Die Schüler:innen kümmern sich um die Reparatur und setzen beispielsweise neue Minen ein oder füllen die Farbe nach. Dadurch erfahren die Schüler:innen, dass man nicht sofort etwas wegwerfen muss, nur weil es auf den ersten Blick nicht mehr funktioniert. Unsere Schüler:innen haben in einem Make Your School-Projekt ebenfalls Lösungswege für einen digitalen Stundenplan und eine digitale Krankmeldung entwickelt. Beide Projekte haben wir in der Schule eingeführt und über die Jahre hinweg automatisiert angepasst.

Welche Kompetenzen erlernen die Schüler:innen während der Umsetzung eines technisches Projekts?

Die vier Kompetenzen des 21. Jahrhunderts, Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation, werden gefordert und gefördert. Was ich besonders spannend finde ist, dass die Resilienzfähigkeit der Schüler:innen gestärkt wird. Sie lernen, weiterzumachen, auch wenn es mal nicht funktioniert. Gerade der Anfang eines technischen Projekts ist oft schwierig. Man wird immer wieder zurückgeworfen. Aber das gehört dazu. Sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, ist eine Kompetenz, die einen weiterbringt. Umso größer ist der Stolz und die Begeisterung der Schüler:innen, wenn sie es schließlich geschafft haben. Im normalen Schulunterricht erleben sie diese Erfolgsmomente nicht so ausgeprägt. Wenn ein/e Schüler:in beispielsweise eine Matheaufgabe in der Stunde nicht versteht, bietet die Lehrerkraft spätestens am nächsten Schultag Unterstützung an oder man lässt sich das Problem einfach von seinen Mitschüler:innen erklären.

Wie schaffen es die Lehrkräfte an Ihrer Schule, Digitalisierung und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden?

Sehr gut! Wir leben in einer digitalen Welt und nutzen die Chancen, beide Themen in den unterschiedlichsten Fächern bestmöglich miteinander zu kombinieren. Im Deutschunterricht möchten wir zum Beispiel zukünftig Fachtexte aus der Naturwissenschaft lesen und diese analysieren. Im Kunstunterricht haben die Schüler:innen einen Friedhof mitgestaltet. Dazu gehörte unter anderem eine digitale Grabstelle, die Aufschluss über den Lebenslauf des Verstorbenen enthielt. Neben der technischen Ausarbeitung haben sich die Schüler:innen intensiv mit Religion und Ethik auseinandergesetzt. Fächerübergreifendes Lernen kann mit den richtigen Ideen relativ einfach umgesetzt werden.

STATEMENT

„Die Mädchen brennen genauso für die technischen Themen wie die Jungs. Am Ende werden Probleme gelöst, die an der Schule zu finden sind und gleichermaßen von Schülerinnen und Schülern wahrgenommen werden.“

Sebastian Wilhelm
Gustav-Heinemann- Schule

Wirken sich die vorbildlichen MINT-Projekte an Ihrer Schule auf die Berufswahl der Schüler:innen aus?

Durch unser Alumini-Projekt wissen wir, dass viele ehemalige Schüler:innen sich nach ihrem Schulabschluss für einen Studiengang im Fachbereich Informatik entscheiden. Was uns ebenfalls besonders freut ist, dass immer mehr Schülerinnen Informatik als Fach wählen. Auch der Anteil der Teilnehmerinnen im Leistungskursbereich nimmt stetig zu. Mittlerweile besteht der Leistungskurs Informatik zu einem Drittel aus jungen Frauen.

Wie gelingt es der Schule, die Schüler:innen für technische Themen zu begeistern?

An den Make Your School Workshops zum Beispiel machen immer zwei Klassen mit. Deshalb sind die Gruppen automatisch gemischt. Das funktioniert sehr gut! Die Mädchen brennen genauso für die technischen Themen wie die Jungs. Am Ende werden Probleme gelöst, die an der Schule zu finden sind und gleichermaßen von Schülerinnen und Schülern wahrgenommen werden. Bei Make Your School ist das Tolle, dass mindestens immer eine Mentorin dabei ist, die den Schüler:innen zur Seite steht. Das ist ein wichtiges Zeichen. Die Schülerinnen erleben dadurch eine wichtige Vorbildfunktion und sie erfahren, dass Technik keine Männerdomäne ist.

Was würden Sie sich von Seiten der Politik wünschen, um als Schule noch nachhaltiger arbeiten zu können?

Ich würde mir wünschen, dass die Ausschreibungskriterien geändert werden. Wenn wir zum Beispiel neue Technik benötigen, erhalten wir keine Geräte, die länger halten, sondern die besonders günstig sind. Statt auf Nachhaltigkeit zu setzen, ist oft nur der Preis ausschlaggebend. Was nützt es, wenn ich einen Bildschirm, der 50 Euro billiger ist, nur sechs statt 10 Jahre nutzen kann? Außerdem würde ich mir wünschen, dass Schulen eine höhere Stundenzuweisung erhalten, um den MINT-Bereich zu fördern. Die dadurch zur Verfügung stehende Arbeitszeit könnte für freiwillige Wahlkurse und Arbeitsgemeinschaften sowie die Leitung entsprechender Steuergruppen verwendet werden. Auch Fördergelder für bestimmte Projekte müssten in einem größeren Umfang bereitgestellt und unkomplizierter von den Lehrkräften abgerufen werden können.

Sebastian Wilhelm

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