Chancengerechte Bildung im Neuen Land
Von Verena Pausder
In den vergangenen Jahren haben wir
viel – und im Rückblick etwas arglos – von Disruption gesprochen.
Dass sich Unternehmen,
dass sich das politische und wirtschaftliche Leben,
dass sich das Bildungssystem radikal ändern müsse,
damit wir zukunftsfähig bleiben.
Das letzte Jahr hat uns gelehrt
wie unbarmherzig Disruption ist,
dass radikal bedeutet, dass nichts mehr ist, wie es gestern war.
Corona war die effektivste, flächendeckendste Fortbildungsmaßnahme,
die unser Schulsystem je erlebt hat – vor allem beim Thema Digitalisierung.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden:
Natürlich wäre uns und unserer Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft das Virus lieber erspart geblieben –
als dass wir es als Fortschrittsbringer feiern.
Aber unter den gegebenen Umständen hat es unser Schulsystem, unsere Gesellschaft energetisiert und zusammengebracht,
wie das zuvor niemand für möglich gehalten hätte.
Es ist diese Energie,
dieser Zusammenhalt,
diese Offenheit für Neues,
dieser Wille zur Veränderung,
den ich mir für die Zukunft unseres Landes wünsche.
Für meine Vision vom Neuen Land.
Ein Land,
dessen wichtigster Rohstoff die Bildung ist
und dessen größte Chance darin liegt, die junge Generation mitgestalten zu lassen.
Unser wichtigster Rohstoff: Bildung
Auf dem Rohstoff Bildung muss im rohstoffarmen Deutschland das Hauptaugenmerk liegen.
Und Bildung sollte zwingend mit dem verknüpft sein,
was einer gegenwärtigen und künftigen Leben- und Arbeitsrealität entspricht.
Fangen wir also an – auch im Sinne unserer Kinder –
Die Schule von morgen zu denken,
den Unterricht neu zu denken,
die Bildung des Neuen Landes neu zu denken.
Im Neuen Land werden digitale Geräte in den Unterricht eingebunden.
Und zwar nicht als Spielerei
oder weil Digitalisierung gerade in aller Munde ist,
sondern weil es unser Anspruch an das Bildungssystem sein muss,
Kinder zu mündigen Bürger:innen der Zukunft auszubilden.
Und dazu gehört fast schon zwingend der Umgang mit digitalen Geräten, Inhalten, Tools und Kompetenzen.
Das ist das Handwerkszeug der Zukunft.
Das ist die Lebens- und Arbeitsrealität von morgen.
Darauf müssen Kinder vorbereitet werden.
Lasst uns daher Coding als das Latein der Zukunft verstehen.
Eine Sprache, die ein Fundament für das Verständnis von Wissen schaffen
und logisches Denken schulen kann.
Nicht weil jede:r Schüler:in später auch Programmierer:in werden muss.
Sondern weil Coding Zukunftskompetenzen vermittelt:
Problemlösekompetenz,
Fehlerkultur,
Teamfähigkeit und Entscheidungsfreude.
Denn Programmieren ist auch ein gemeinschaftliches
Einfach-mal-ausprobieren.
Und wenn wir schon dabei sind,
Unterrichtsinhalte neu zu denken,
denken wir doch gleich den Lernort Schule neu.
Denken wir in Kleingruppen,
an projektbasierten, fächerübergreifenden, kreativen Unterricht
an einen weniger starren Lehrplan
und an mehr Videokonferenzen auch für Schüler:innen.
Kinder könnten ab jetzt optional immer einen Tag pro Woche von zu Hause lernen.
Einmal pro Woche gibt es Online-Unterricht und digitale Lernräume.
So wird digitale Infrastruktur von Lehrer:innen und Schüler:innen beständig genutzt,
so verfestigen sich digitale Fähigkeiten an den Schulen.
Und so haben wir auf natürliche Weise einen Fortbildungstag pro Woche,
der nichts kostet
und zum Learning on the Job anregt.
Ganz wichtig dabei:
Viele Schulen sind technisch nicht auf der Höhe.
Es braucht eine funktionierende digitale Infrastruktur,
ein professionelles Systemmanagement.
Gerade, wenn durch den Digitalpakt viele Geräte an die Schulen kommen.
Deshalb:
Gründen wir eine Systemadministrator:innen-Allianz:
eine Allianz, die System-Administrator:innen von Unternehmen an Schulen „verleiht“
und einen Technikaustausch zwischen Unternehmen und Bildungseinrichtungen organisiert.
Wir sollten keine Angst vor der digitalen Zukunft haben.
Denn bei aller Technik, die uns unterstützt und neue Kreativität entfalten lässt,
wird kein Roboter der Welt jemals Lehrer:innen ersetzen können.
Lehrer:innen veredeln den einzigen Rohstoff,
den wir in diesem Land haben.
Sie begleiten beim Lernen, motivieren und inspirieren,
sie bilden die mündigen Weltenbürger:innen von morgen aus,
sie machen unsere Kinder zu Zukunftsgestalter:innen.
Schenken wir ihnen deshalb mehr Anerkennung und Respekt.
Und mäßigen wir unsere Leidenschaft,
ständig Defizite bei „den Lehrer:innen“ zu bemängeln.
Das hätte einen enormen Effekt auf nachfolgende Generationen,
die sich entscheiden, Lehramt zu studieren.
Wir haben hier eine einmalige Chance,
Bildung völlig neu zu denken.
Und aus Bewährtem und Neuem etwas Zukunftsfähiges zu schaffen.
Von dem wir alle profitieren.
Wachsen wir gemeinsam mit unseren Kindern,
entwickeln wir den Anspruch, nicht nur Konsument:innen,
sondern Gestalter:innen der Welt von morgen zu sein.
Gestalten wir dazu die Schule neu,
und schaffen wir ein neues Fundament für Bildung.
Denn Bildung ist das Fundament des Neuen Landes.
Ein Land, dessen wichtigster Rohstoff die Bildung ist und dessen größte Chance darin liegt, die junge Generation mitgestalten zu lassen.
Chancengerechtigkeit für die junge Generation
Wenn Bildung unser wichtigster Rohstoff ist,
müssen wir dafür sorgen, dass alle eine Chance auf eine
gute digitale Bildung bekommen.
Denn es liegt auch hierzulande am sozialen Hintergrund,
ob ein Kind eine Chance bekommt,
ob es in Schule und Schulbildung Erfolg hat.
Das ist die traurige Realität.
Allein, dass während der Corona-Zeit
durch die Schließungen von Kindergärten, Schulen und Schulkantinen
vielen Kindern
der Zugang zu regelmäßigen Mahlzeiten verwehrt blieb,
ist eine jener „Ungleichheiten“, die es im Neuen Land
nicht mehr geben darf.
Auch nicht, dass man viele Kinder – und auch deren Eltern –
einfach sich selbst überließ.
In den Corona-Tagen hat sich jedoch, zumindest in den ersten Wochen,
auch eine tiefe Menschlichkeit offenbart,
ein neuer Zusammenhalt.
Es wäre wichtig,
diese Menschlichkeit,
dieses Miteinander, diesen Zusammenhalt in das Neue Land „mitzunehmen“.
Wie viel mehr könnte das Land,
wenn wir nicht abgegrenzt,
sondern aneinander denken.
Und vor allem auch an die nächsten Generationen.
Wir können es uns schlichtweg nicht mehr erlauben,
Probleme in die Zukunft zu verschieben, statt sie in der Gegenwart zu lösen.
Wir nehmen unseren Kindern damit die Luft zum Atmen.
Wir kippen ihnen unsere Probleme vor die Füße –
und finden es nervig,
wenn sie die Straßen mit Fridays-for-Future-Demos blockieren.
Stattdessen brauchen wir genau das.
Es kann dem Neuen Land nichts Besseres passieren
als eine
starke, laute,
veränderungsbereite,
politisch interessierte,
aktive Jugend!
Weltweit sind nur zwei Prozent aller Parlamentarier:innen
unter 30 Jahre alt.
Lassen wir die Jugend mitreden.
Lassen wir sie über ihre Zukunft mitentscheiden.
Lassen wir sie so früh wie möglich wählen.
Denn Fakt ist:
Wir sind ein sehr altes Land.
Bei uns ist fast ein Viertel der Bevölkerung über 64 Jahre alt.
Und die Babyboomer kommen erst noch.
Wir werden immer älter, dürfen folglich auch immer länger wählen,
und wählen damit automatisch immer mehr Politik für Ältere.
Das ist dann zwar repräsentativ, aber nicht zukunftsgerecht.
Also wäre es nur konsequent, die Jüngeren früher wählen zu lassen.
Damit sie einen längeren Wirkungszeitraum haben.
Im Neuen Land wird also früher gewählt,
nämlich ab 16 Jahren.
Und:
Halten wir es aus,
dass die Jugend anders denkt.
Denn Chancengerechtigkeit bedeutet auch, dass jede gute Idee eine Chance bekommt, umgesetzt zu werden
Der Weg nach vorn, ins Neue Land
Wir haben in Deutschland kein Erkenntnisproblem,
wir haben ein Umsetzungsproblem.
Das Drama unserer eigentlich
so bewundernswerten Ingenieursseele:
Dass wir die Dinge, die wir kennen, perfekt machen.
Und zwar nur die.
Die Dinge, die wir nicht kennen,
machen wir nicht.
Weil wir Fehler machen könnten.
Lieber nichts machen, als das Falsche machen.
Lieber nicht gründen, als insolvent gehen.
Aus Furcht, einen ersten ungewohnten Schritt zu gehen,
versäumen wir,
etwas Großes zu erschaffen.
Die Frage ist: Wie schaffen wir die Voraussetzung dafür,
dass unsere Kinder den gleichen Wohlstand haben wie wir?
Das schaffen wir nur mit Innovation.
Und die ist in Zukunft eng verbunden mit Digitalisierung.
Innovation entsteht durch den Mut zu machen und auszuprobieren.
Mutig sein heißt auch, Mut zur Lücke zu haben.
Wir müssen uns,
wie es der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio formuliert hat,
trauen,
„in Zukunftstechnologien zu investieren – ohne alle Antworten vorher zu haben“.
Lasst uns mehr Mutanfälle und Mutausbrüche haben!
Lasst uns…
- Unternehmertum und Innovation an den Schulen unterrichten.
- die Stimme unserer Kinder ernst nehmen und sie wählen lassen.
- gemeinsam mit unseren Kindern lernen. Ausprobieren. Fehler machen. Neues schaffen.
- ein starkes Digitalisierungsministerium einsetzen, das Innovationen in Deutschland Priorität gibt.
Lasst uns gemeinsam in Innovationen
für unser Land investieren.
Mit einer Innovationsabgabe.
Einem Fonds aus dem wir schöpfen können.
Der es uns erlaubt, größer zu denken.
Und die Zukunft mit Lust zu gestalten.
Sie vor uns hertreiben.
Nicht vor ihr weglaufen.
Wir erleben die Auswirkungen einer weltweiten Pandemie.
Menschen haben ihr Leben verloren.
Unternehmen haben harte Zeiten vor sich.
Arbeitsplätze gehen verloren, Träume zerplatzen,
Entwürfe und Konzepte haben sich erledigt.
Aber:
Es geht weiter.
Und wir haben nun zwei Möglichkeiten:
Erstens:
Wir können den Wandel tragisch und dramatisch finden
und alle diejenigen, denen etwas weggebrochen ist,
irgendwie trösten und
so lange wie möglich notwendige Maßnahmen hinauszögern.
Oder zweitens:
Wir können etwas machen.
Wir können Chancen eröffnen.
Wir können den Menschen zeigen, was vor ihnen liegen könnte,
und gemeinsam mit ihnen ein positives Bild der Zukunft entwickeln.
Darin sehe ich die Aufgabe von Politik:
Wir brauchen politische Führung, die Chancen sieht.
Wir brauchen Menschen, die Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
Wir brauchen mehr Engagement, mehr Fantasie, mehr Wille –
und vor allem einen Glauben daran,
mit verändern zu können.
Jetzt ist die Zeit, etwas anders zu machen.
Jetzt ist die beste Zeit für ein Neues Land.
Verena Pausder ist Unternehmensgründerin, Autorin und Expertin für digitale Bildung. Während der Corona-Zeit stellte sie home-schooling-corona.com ins Netz und initiierte mit #wirfuerschule den größten Bildungs-Hackathon des Landes. In ihrem Buch „Das Neue Land“ – aus dem hier Auszüge veröffentlicht sind – entwirft sie ihre Vision einer kreative, chancengerechten und solidarischen Gesellschaft in der digitalen Gegenwart