11. März 2021

Der Betrieb als Ort demokratischer Bildung

Ein Gespräch mit Dr. Monika Wulf-Mathies, Beirätin der Vodafone Stiftung

Frau Wulf-Mathies, welche sozialen Ungleichheiten treten in der Pandemiezeit besonders hervor?

Es hat sich jetzt in besonderer Weise die schon seit langer Zeit bekannte, skandalöse Bildungsungerechtigkeit gezeigt. Also dass der soziale Status der Eltern die Bildungschancen der Kinder bestimmt.

Inwiefern?

Das Lernen auf Distanz setzt voraus, dass die Eltern den Kindern beim Erarbeiten des Stoffs helfen können, dass die häusliche Situation ein konzentriertes Arbeiten erlaubt, und auch, dass die technischen Bedingungen für netzgestütztes Lernen gegeben sind. Außerdem braucht man Lehrer, die digital unterrichten können und zudem noch die soziale Kompetenz haben, zu erkennen, wo zusätzliche Angebote nötig sind.

Es ist noch einiges dazugekommen, etwa die Vertiefung der Ungleichheit zwischen Mann und Frau …

… weil die Mutter eben nicht nur im Homeoffice sitzt, sondern gleichzeitig die Kinder betreut und den Haushalt schmeißt. Man hat ja auch festgestellt, dass die Frauen diejenigen sind, die als Letzte das Homeoffice verlassen und wieder ins Büro gehen. Viele Männer hingegen sind froh, wenn sie von den häuslichen Verpflichtungen wieder fortkommen. Dass sie unbedingt ins Büro müssen, wird dann damit begründet, dass sie höhere Positionen haben, mehr Verantwortung tragen und mehr verdienen. Dass dies noch immer die Folge eines reaktionären Frauenbildes ist, macht mich immer wieder zornig.

Was bedeutet diese Corona-Zeit für Sie politisch?

Es ist etwas Bedenkliches hinzugekommen. Wir hatten schon vorher diese Stimmungen, oft diffus, die sich gegen Migranten richten sowie gegen die sogenannten etablierten Parteien und Medien, die angeblich das Volk belügen. Dazu gesellen sich jetzt antisemitisch motivierte Vorstellungen über dunkle Mächte im Hintergrund des Pandemiegeschehens, bis hin zu dem Gemunkel über geheime Pläne von Bill Gates. In der Corona-Krise hat sich gewissermaßen die Realität verdreht: Rechtsextreme beklagen Demokratiedefizite, Antisemiten tragen Anne-Frank-T-Shirts und der Ruf „Wir sind das Volk“ suggeriert, die Minderheit der so Denkenden repräsentiere die Mehrheit.

STATEMENT

„Ich möchte anregen, über den Betrieb als Ort demokratischer Bildung nachzudenken“

Monika Wulf-Mathies
Beirätin der Vodafone Stiftung

Und Ihre Schlussfolgerung?

Dass auf diese neue Lage nicht zuletzt mit politischer Bildung reagiert werden muss. Nur ist es so, dass diejenigen, die sich mit politischer Bildung befasst haben, etwa Parteien, Gewerkschaften und Bildungsinstitutionen, an Wirkung verloren haben. Das wirft die Frage nach dem Zugang zu solchen Bürgerinnen und Bürgern auf, die anfällig für rechtsextreme Ansichten oder für den Glauben an Verschwörungen sind. Umfragen zeigen, dass ein Großteil dieser Menschen einen festen Arbeitsplatz hat. Dort haben sie Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, dort müssen sie mit anderen zusammenarbeiten. Dort könnte man sie vielleicht erreichen.

Wie denn? Durch Fortbildung etwa?

Die Idee besteht nicht etwa darin, dass nun die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens zu betrieblichen Demokratieschulungen abkommandiert werden. Aber die Unternehmen können zum Beispiel bei der Zusammenstellung von Abteilungen oder Teams darauf achten, dass eine gewisse Diversität herrscht. So können Menschen, die Vorurteile gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen haben, die Erfahrung machen, dass man mit den anderen sehr wohl zusammenarbeiten kann.

Sie fordern also Unternehmensführungen und Personalabteilungen auf, Bedingungen des demokratischen Lernens zu schaffen?

Ja. Wir müssen uns mehr Mühe geben, um auch jene, mit denen wir eigentlich nicht gerne reden möchten, weil sie beispielsweise mit PEGIDA sympathisieren, doch zu erreichen. Und das geht wahrscheinlich im Betriebsalltag leichter. Also dort, wo man sowieso zusammenarbeiten muss. Ich möchte unsere Unternehmen deshalb dafür gewinnen, politische Bildung auch als ihre Aufgabe zu begreifen.

Bildung, also Lernen, setzt aber Zeit und Raum voraus, und damit zusätzliche Kosten.

Stimmt. Aber es kostet eben auch, wenn ich keine qualifizierten Leute aus dem Ausland einstellen kann, weil mein Standort als rechtsextremer Hotspot angesehen wird. Das Image eines exportierenden Unternehmens kann ebenfalls daran Schaden nehmen. Es kommt hinzu, dass Diversität der Produktqualität nutzt.

Wie das?

Vielfältig zusammengesetzten Entwicklungsteams fällt es leichter, sich die unterschiedlichen Nutzungssituationen eines Produkts vorzustellen. Damit beispielsweise das Auto nicht nur hohe PS-
Zahlen und einen tollen Sound hat, sondern auch Platz für den Wochenendeinkauf bietet. Das ist nur ein kleines Beispiel, aber generell gilt: Je diverser es in der Produktion zugeht, desto mehr Kunden können Sie erreichen. Außerdem herrscht in einem Unternehmen, in dem es keine sexistische Männerkumpanei gibt und Ausgrenzungen von Minderheiten nicht geduldet werden, generell ein offeneres, kreativeres Klima.

STATEMENT

„Man lernt, dass eine nachhaltige Unternehmenskultur nicht nur durch betriebswirtschaftliche Erfolge, durch Effizienz und Karriereplanung geprägt wird, sondern sich auch daran zeigt, wie man miteinander umgeht.“

Monika Wulf-Mathies
Beirätin der Vodafone Stiftung

Vorgesetzte könnten mit gutem Beispiel vorangehen und auf sexistische Witze mit Ablehnung reagieren.

Ja, natürlich! Anstatt mit Stillschweigen darüber hinwegzugehen. Es ist immer besser für den Betrieb, wenn Negatives nicht verschwiegen wird. In das wohlverstandene Interesse der Wirtschaft wird oft appelliert. Sie soll im Eigeninteresse das Klima schützen, die Menschenrechte achten und nachhaltig operieren. Auch Sie führen ja Argumente dafür an. Nur zeigt die Praxis, dass die Unternehmen nur selten von sich aus in diesem Sinne handeln. Wäre es anders, bräuchte man kein Umweltrecht und auch kein Lieferkettengesetz. Appelle genügen also nicht. Sie sehen es auch bei den Frauenquoten. Aber ich weigere mich, zu sagen, man könne die Unternehmen nicht davon überzeugen, etwas zur Demokratie beizutragen. Ich stelle fest, dass die jüngsten Entwicklungen, vom Rechtsextremismus bis zu den Wut-Demonstrationen gegen die Corona-Politik, bei Führungskräften der Wirtschaft ziemliches Erschrecken ausgelöst haben. Sie nehmen durchaus wahr, dass da einiges schiefläuft, gegen alle Vernunft und Wissenschaft. Und deshalb möchte ich anregen, über den Betrieb als Ort demokratischer Bildung nachzudenken.

Sie werfen einen Stein ins Wasser? Ist das die Idee?

Ja. Ich möchte, dass man sich mal zusammensetzt, in Thinktanks, politischen Stiftungen, Bildungseinrichtungen, Unternehmen, und überlegt, wie man demokratische Inhalte und Verhaltensweisen in den betrieblichen Alltag integrieren kann. Die Situation ist günstig dafür. Es wird gerade so viel über einen notwendigen Kulturwandel in Unternehmen gesprochen. Man lernt, dass eine nachhaltige Unternehmenskultur nicht nur durch betriebswirtschaftliche Erfolge, durch Effizienz und Karriereplanung geprägt wird, sondern sich auch daran zeigt, wie man miteinander umgeht. Ob man Respekt vor anderen hat, sie ausreden lässt und ihnen zuhört. Es gibt auch mehr und mehr Unternehmen, die ihre finanziellen Erfolgskriterien durch Nachhaltigkeitsindizes ergänzen. Das ist ein Wandel, den ich im Interesse unserer Demokratie nutzen möchte.

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