29. Januar 2018

Studie: Erfolgsfaktor Resilienz

Wie die sozial schwächsten Schüler:innen zu den leistungsstärksten gehören können. Eine PISA-Sonderauswertung der OECD gefördert von der Vodafone Stiftung.

Solide Leistungen im Pisa-Test trotz ungünstigen sozioökonomischen Hintergrunds

Angesichts des digitalen Wandels wird Bildung zu einer noch entscheidenderen Zukunftsressource unserer Gesellschaft, die allen – unabhängig von ihrer sozioökonomischen Herkunft – zugänglich sein sollte. Die Analyse von PISA-Daten zeigt, dass es heute in Deutschland deutlich mehr Schüler:innen gibt, die trotz eines eher bildungsfernen Elternhauses solide Kompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften erwerben. Der Anteil dieser Schüler:innen ist hierzulande im vergangenen Jahrzehnt so stark gewachsen wie in kaum einem anderen OECD-Land. Waren es im Jahr 2006 nur 25 Prozent, galten im Jahr 2015 schon 32,3 Prozent der sozioökonomisch benachteiligten Schüler:innen als „resilient“, was heißt, dass sie trotz ihres ungünstigen sozioökonomischen Hintergrunds im PISA-Test solide Leistungen zeigen.

Die vorliegende Studie zeigt, dass auf Schulebene insbesondere zwei Faktoren diese positive Anpassungsleistung von Schüler:innen nachhaltig befördern können: Dies sind zum einen eine gute soziale Mischung an der Schule und zum anderen ein positives Schulklima. Die Ressourcenausstattung der Schule etwa mit Computern oder die Klassengröße spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Zu einem solch guten Lernklima tragen vor allem eine niedrige Lehrkräftefluktuation, durch die sich eine offene Kommunikation und vertrauensvolle Beziehungen entwickeln können, sowie eine motivierende Schulleitung bei, der es gelingt, das Lehrer:innenkollegium von einer gemeinsamen Mission zu überzeugen und auf strategische Ziele und Ergebnisse auszurichten. Gerade in Deutschland sind es zudem vor allem Ganztagsschulen, die in der Lage sind, geeignete Angebote über den Unterricht hinaus zu machen, die die Resilienz bei Schüler:innen fördern können.

Damit kommt der Schulentwicklung eine zentrale Rolle bei der Förderung von Chancengerechtigkeit zu. Der Blick in die Praxis – aus dem Erfahrungsbericht eines langjährigen Schulleiters, Schulrats und Lehrkräfteausbilders– zeigt, dass die Basis eines guten Schulklimas eine wertschätzende Kommunikation aller an Schule Beteiligten ist: Schüler:innen, Lehrkräften, Eltern und nicht-pädagogischem Personal. Neben der Unterrichtsverpflichtung sollten Lehrkräfte daher einen Teil ihres Stellenumfangs als Kommunikationszeiten anerkannt bekommen, um Elterngespräche, Beratungsgespräche mit Schüler:innen sowie Teamplanung unter Kolleg:innen dauerhaft zu stärken und zu verankern. Resilienz auf individueller Ebene kann sich darüber hinaus vor allem dann entwickeln, wenn Schüler:innen anhand von projektorientierten und praxisnahen Lerninhalten die Anwendbarkeit von Gelerntem erleben, ihr eigenes Lernen steuern und so ihre eigene Selbstwirksamkeit erfahren können und motiviert werden. Nur so werden sie stark und widerstandfähig für eine sich schnell verändernde digitale Arbeitswelt und Gesellschaft.

Wer gilt in dieser Studie als sozial benachteiligt?

Neben dem eigentlichen Test beantworten die Schülerinnen und Schüler einen Fragebogen zu ihrer sozialen Herkunft. Dabei werden Bildungsstand und Beruf der Eltern sowie die im Haushalt verfügbaren kulturellen Güter (zum Beispiel Bücher) abgefragt. Aus diesen Angaben wird ein Index zum sozioökonomischen Status gebildet. Schülerinnen und Schüler, die nach diesem Index in ihrem Land zum unteren Viertel gehören, gelten im Rahmen dieser Studie als sozial benachteiligt. Soziale Benachteiligung ist damit in Bezug auf die Verhältnisse innerhalb eines Landes definiert.

Wie definiert diese Studie Resilienz?

Der Begriff Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandsfähigkeit des Einzelnen und damit die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie als Ausgangspunkt für Entwicklungen zu nutzen. Im Rahmen dieser Studie meint Resilienz eine positive Anpassungsleistung: die Fähigkeit von Schülerinnen und Schülern, trotz sozialer Nachteile in allen PISA-Testfeldern mindestens die Kompetenzstufe drei zu erreichen und damit die Voraussetzung für eine aktive gesellschaftliche Teilhabe und lebenslanges Lernen zu erwerben. Nach diesem Konzept ergibt sich ein hoher Anteil resilienter Schüler in einem Land aus guten durchschnittlichen Leistungen bei gleichmäßiger sozialer Verteilung von Lernerfolg. Resilienz ist somit ein Indikator für zwei Kernzielemvon Bildungssystemen.

Der PISA-Schock und seine bildungspolitischen Folgen

Die Veröffentlichung der ersten PISA-Erhebung aus dem Jahr 2000 löste in Deutschland Schockwellen aus, deren Ausläufer noch immer zu spüren sind: Die Leistungen der 15-jährigen Schüler:innen lagen damals in allen drei Prüfungsbereichen unterhalb des OECD-Durchschnitts. Noch schlechter fiel das Ergebnis bei der Bildungsgerechtigkeit aus. In kaum einem anderen OECD-Land war schulischer Erfolg so stark von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland.

Dieser erschreckende Befund zog ein ganzes Bündel an Reformmaßnahmen nach sich. Bereits 2002 definierte die Ständige Konferenz der Kultusminister:innen sieben Handlungsfelder zur Verbesserung der Qualität des Bildungssystems. Die Empfehlungen zielten auf die Erhöhung der Sprach- und Lesekompetenz, die Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, die Weiterentwicklung und Qualitätssicherheit des Unterrichts sowie den Ausbau des außerschulischen Angebots.

Im April 2003 beschlossen Bund und Länder, den Ausbau der Ganztagsschulen mit insgesamt vier Milliarden Euro zu fördern; Bildungsstandards und nationale Vergleichsarbeiten wurden eingeführt. Zahlreiche Bundesländer haben inzwischen das dreigliedrige Schulsystem aus Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien in ein zweigliedriges aus Gesamt- oder Sekundarschulen und Gymnasien überführt und damit eine stärkere soziale Durchmischung an den Schulen erreicht.

Mittlerweile hat sich das Kompetenzniveau der Schüler:innen deutlich verbessert und liegt in allen drei PISA-Kompetenzbereichen über dem OECD-Durchschnitt (> Abb. 1). Auch bei der Chancengleichheit ist die Entwicklung in Deutschland positiv. Soziale Herkunft ist im OECD-Vergleich zwar noch immer ein starker Faktor hinter dem Bildungserfolg, doch der Zusammenhang ist heute deutlich schwächer als noch vor zehn Jahren.

Besonders positiv ist die Entwicklung beim Anteil resilienter Schüler:innen. Konnte im Jahr 2006 nur jede:r vierte benachteiligte Schüler:in solide Kompetenzen vorweisen, so war es 2015 schon jeder Dritte (32,4 Prozent). Gemeinsam mit Portugal konnte Deutschland hier unter den OECD-Ländern den größten Zuwachs verzeichnen.

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