27. Juli 2021

Studie zu Desinformation: Expert:innen sehen größte Gefahr für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Radikalisierung

  • Neue Studie der Vodafone Stiftung: Etwa drei Viertel der Expert:innen in Deutschland sieht größte Gefahr von Desinformation für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Radikalisierung Einzelner
  • WhatsApp, Facebook, YouTube tragen laut Expert:innenmeinung am meisten zur Verbreitung von Miss- und Desinformationen bei, die Bedeutung des Messengers Telegram hat zugenommen
  • Ältere Menschen sind nach Ansicht der Befragten zudem deutlich gefährdeter als junge Menschen, Falschinformationen zum Opfer zu fallen – gleichzeitig gibt es bislang kaum Angebote für ein älteres Publikum

Berlin/Düsseldorf. In Deutschland und weltweit ist seit Beginn der Pandemie ein Anstieg von Desinformation online zu beobachten. Parallel nimmt die Sorge um den Einfluss von Falschnachrichten auf das Ergebnis der in wenigen Wochen stattfindenden Bundestagswahl zu. Das sind die Ergebnisse einer Befragung von über 60 Expert:innen zum Thema Desinformation im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland.

Als größte Gefahr bei der zunehmenden Verbreitung von Desinformation sehen die Fachleute die Polarisierung von Gesellschaften sowie die Radikalisierung Einzelner. Zwei Drittel der Befragten erwarten außerdem eine politische Beeinflussung der Bürger:innen durch Falschnachrichten. Die Gefahr einer direkten Manipulation von Wahlen sehen die Expert:innen dagegen in Deutschland geringer ausgeprägt als im weltweiten Vergleich. Als Treiber von Desinformation nennen sie die Social-Media-Plattformen WhatsApp, Facebook und Youtube. Trotz geringerer Nutzer:innenzahl wird außerdem der Messenger Telegram von den Expert:innen als sehr relevant für die Weitergabe von Falschnachrichten eingeschätzt.

Geringe Bedeutung von Deep Fakes, dafür vor allem Ältere gefährdet

Trotz der häufigen Thematisierung in den Medien spielen Verfälschungen durch künstliche Intelligenzen, wie Deep Fakes, in Deutschland noch eine untergeordnete Rolle. Der Großteil der Desinformation in Deutschland besteht nach Ansicht der Fachleute in verzerrten Darstellungen oder Behauptungen ohne Faktenbasis. Die Gefahr, dass den meist auf Social Media verbreiteten Desinformationskampagnen Glauben geschenkt wird, sei insbesondere bei älteren Menschen sehr hoch. In dieser Altersgruppe gebe es zudem noch nicht genug Angebote und Aufklärungsarbeit zum Thema Falschnachrichten. Um der steigenden Desinformation entgegenzuwirken, sehen die Befragten insbesondere die Social Media-Plattformen selbst und Bildungseinrichtungen in der Pflicht. Vor allem die Stärkung der Medienkompetenz allgemein, ein weiterer Ausbau der Bekämpfungsmechanismen auf den sozialen Plattformen sowie die Vermittlung von Fähigkeiten im Umgang mit Medien seien als Maßnahmen relevant.

Rolle der klassischen Medien bei Desinformation

Dass die klassischen Medien eine große Rolle bei der Verstärkung der Reichweite von Falschnachrichten spielen, ist grundsätzlich bekannt und bestätigt auch die große Mehrheit der befragten Expert:innen. Trotzdem haben die Medien, nach Einschätzung der Fachleute, auch in den vergangenen Jahren noch keine ausreichenden Strategien entwickelt, wie sie Desinformation in ihrer Berichterstattung thematisieren – ohne das Risiko einzugehen, dass Bürger:innen der Falschinformation doch Glauben schenken. Die Befragten regen hier unter anderem an, Journalist:innen im berufsspezifischen Kontext noch stärker über den Umgang mit Desinformation aufzuklären. Journalist:innen verfügten zwar über grundlegendes Handwerkzeug zum Überprüfen von Falschinforma­tionen, seien aber häufig zu wenig erfahren im heiklen Umgang mit den Mechanismen von Desinformationsversuchen, konstatiert die Studie.

Expert:innen bewerten Begriff „Fake News“ als ungeeignet

Grundlegend beurteilen die Expert:innen den Begriff „Fake News“ als ungeeignet. Der Begriff ist zwar in der Alltagsprache fest etabliert, aber nicht klar definiert. Nach Mehrheit der Fachleute ist der Begriff zu unpräzise und durch seine Nutzung als politischer Kampfbegriff zur Diskreditierung Anderer belastet. Sie sprechen sich stattdessen für Begriffe bzw. Begriffspaare wie Desinformation und Missinformation oder Falschinformation aus. Journalist:innen sollten die Bezeichnung „Fake News“ trotz ihres Signalfaktors sparsam nutzen, empfiehlt die Studie.

Inwieweit die Auseinandersetzung mit Desinformation tatsächlich zu Einstellungs- oder Verhaltungsänderungen führt, wird von den Expert:innen als Feld genannt, zu dem belastbare Erkenntnisse bislang fehlen.

Methodik

Die Studie beruht auf einer Befragung ausgewählter Expert:innen, die sich mindestens seit drei Jahren mit dem Thema Desinformation beschäftigen, mittels eines Online-Fragenbogens mit teils offenen, teils geschlossenen Fragen. Dieses Instrument wurde gewählt, um einerseits eine Vergleichbarkeit durch geschlossene Fragen sowie die nachträgliche Codierung von offenen Antworten herzustellen und andererseits eine möglichst große Anzahl von Personen der Zielgruppe rekrutieren zu können. Die schriftliche Befragung fand im Zeitraum vom 08.05. bis 05.07.2020 statt. Die Expert:innen wurden durch eine vorhergehende Recherche (eigene Publikationen, Erwähnungen in den Medien, Nachfrage bei Institutionen) identifiziert und mussten in Deutschland tätig sein oder einen starken Deutschlandbezug in ihrer Tätigkeit aufweisen. Studienautor ist der Kommunikationswissenschaftler und Journalist Fiete Stegers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW).

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