25. August 2020

In Dresden wird die Schule der Zukunft erprobt

Lernbegleiter:in statt Lehrkräften, Werkstätten statt Klassenräumen, Projektgruppen statt Frontalunterricht: Seit mittlerweile einem Jahr wird Unterricht an der Universitätsschule der TU Dresden neu gedacht. Dafür wird die komplette Schulorganisation auf den Kopf gestellt. Das Projekt möchte zukunftsweisend sein und Schulen bundesweit bei der digitalen Transformation Orientierung bieten.

Es folgt ein Auszug des Tätigkeitsberichts der Vodafone Stiftung für das Jahr 2019.

Egal in welcher Dekade wir unsere Schulzeit auch absolviert haben mögen, die Lern- und Lehrprinzipien haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte kaum verändert. Die Kinder einer Schulklasse sind meistens gleich alt. Tests werden geschrieben, wenn die Lehrkraft einen Termin vorgibt, und nicht, wenn jedes Kind den Lernstoff auch wirklich verstanden hat. Steht Rechnen auf dem Stundenplan, geht es ausschließlich um die Vermittlung von mathematischem Wissen, nicht um Geschichte, Physik oder Kunst.

An der Universitätsschule ist fast alles anders. Beim Modellprojekt der Technischen Universität und der Stadt Dresden sollen grundlegende Prozesse und Abläufe an Schulen überdacht und neue Lernwege gegangen werden. Das Ziel: Die daraus resultierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse fließen in die Lehrkräfteausbildung an der Universität ein und könnten damit einen bedeutenden Beitrag zur Bildungsforschung leisten sowie anderen Schulen in Deutschland als Vorbild dienen.

„Wir wollen jedem einzelnen Schulkind einen individuellen Entwicklungs- und Lernweg ermöglichen“, sagt Prof. Dr. Anke Langner. Die Erziehungswissenschaftlerin ist die Projektleiterin der Universitätsschule und hat deren Planung und Umsetzung maßgeblich vorangetrieben. 15 Jahre haben die Projektleiterin und ihr Kolleg:innenteam Zeit, dieses einzigartige Schulprojekt zu etablieren und zu erforschen. Die Schule, die aus einem Grundschul- und einem Oberschulbereich besteht, startete im August 2019 mit 200 Schulkindern und zunächst 15 Lehrkräften. Auf bis zu rund 750 Schüler:innen soll die Einrichtung in den kommenden Jahren anwachsen.

Die Vodafone Stiftung unterstützt das Leuchtturmprojekt gleich auf drei Ebenen: So wird den Lehrkräften in den Schulungen der Initiative Coding for Tomorrow nahegebracht, wie digitale Medien und Werkzeuge sinnvoll und fachgerecht im Unterricht genutzt werden können. Gleichzeitig nutzt Coding for Tomorrow Erkenntnisse aus der Arbeit mit der Universitätsschule für die Weiterentwicklung des eigenen Angebots – bundesweit. Die Universitätsschule profitiert von den Kompetenzen der Initiative übrigens genau wie die Pädagog:innen des Medienzentrums Dresden, mit dem die Initiative ebenfalls kooperiert.

Darüber hinaus berät und begleitet die Initiative die Schule bei der Erstellung des eigenen Medienkonzeptes sowie bei der dafür notwendigen Hardware und finanziert einen Großteil davon mit.

Und schließlich setzt sich die Vodafone Stiftung mit ihrem Netzwerk dafür ein, dass dieses einmalige Schulkonzept und dessen Vorbildfunktion über die Grenzen Dresdens hinaus als wegweisendes Leuchtturmprojekt wahrgenommen wird.

Wissen selbstständig erarbeiten

„Bei uns geht es nicht darum, den Kindern Wissen einzutrichtern. Bei uns lernen sie, selbsttätig zu agieren und Fragen zu formulieren, deren Antworten sie interessieren“, erklärt Prof. Dr. Langner.

Die Schulkinder der Universitätsschule lernen in heterogenen Gruppen. „Die Homogenisierung vereinfacht zwar die Organisationsstrukturen einer Schule, aber der Lerneffekt erhöht sich dadurch nicht, dass Gleichaltrige gemeinsam frontal unterrichtet werden müssen. Das ist ein Mythos“, meint die Professorin. Wenn aber ein älteres Schulkind aus einer Gruppe einem jüngeren etwas erklärt, profitieren beide davon. Das jüngere Schulkind versteht die Erklärungen eines Kindes besser als die einer Lehrkraft und parallel dazu repetiert das ältere Kind das Gelernte.

Jahrgangsübergreifende Gruppen arbeiten an fächerübergreifenden Projekten

Ein Lernprojekt ist der Bau eines Floßes. Hier begreifen die Kinder die physikalischen Grundgesetze, indem sie sie anwenden, lernen geschichtliche Hintergründe über antike Handelswege kennen und setzen sich mit höherer Mathematik auseinander. „Bei uns steht das Erlernen von interdisziplinärem Denken im Vordergrund und nicht das Abarbeiten von Lehrplänen“, betont Prof. Dr. Langner.

Ein anderes Beispiel sind Digitalprojekte, die in Zusammenarbeit mit der Initiative Coding for Tomorrow entstanden sind. Durch die stetige Fortbildung von Lehrkräften und Schulleitung sollen digitale Technologien bald noch selbstverständlicher im Unterricht genutzt werden – und die jungen Teilnehmer:innen so die Logik der digitalen Welt begreifen lernen. Auch hier ist die Technologie ein Lernwerkzeug. Die Didaktik steht im Mittelpunkt. „Wir bauen z. B. Roboter in Form von elektronischen Nussknackern oder eine digitale Schuluhr“, erzählt die Professorin.

In den einzelnen Gruppen übernehmen die Pädagog:innen die Rolle von Projekt- bzw. Lernbegleiter:innen. Zusätzlich zu den jahrgangsübergeifenden Projektgruppen besuchen die Kinder naturwissenschaftliche, sprachliche, kreative oder soziale Werkstätten. Die Auswahl treffen die Kinder frei, oder die Werkstattbesuche werden, je nach Wissensstand eines Kindes, von den Lehrer:innen festgelegt.

Da die individuellen Lernprozesse jedes Kindes digital aufgezeichnet und wissenschaftlich ausgewertet werden, ist es für die Pädagog:innen leicht erkennbar, welches Kind in welchen Bereichen Förderung benötigt und welches ein Hochleister ist. Auf diese Weise bleibt kein Kind auf der Strecke.

STATEMENT

Die Homogenisierung vereinfacht zwar die Organisationsstrukturen einer Schule, aber der Lerneffekt erhöht sich dadurch nicht, dass Gleichaltrige gemeinsam frontal unterrichtet werden müssen – Das ist ein Mythos.

Prof. Dr. Anke Langner

Lernverhalten digital beobachten

Für die Universitätsschule wurde eine spezielle Software konzipiert. Sie bildet das organisatorische und lerntechnische Herzstück. Die Schüler:innen erstellen damit ihre Stundenpläne, führen digitale Lerntagebücher und buchen Werkstattplätze. Gleichzeitig dokumentiert die Software den Lernprozess der Kinder. „Die Software zeigt den Lernstand jedes Schulkindes an und gibt Auskunft darüber, welches Wissen von einem Kind noch zu erlangen ist“, erläutert Prof. Dr. Langner.

Die Mischung macht es: Gelernt wird analog und digital

Der Einsatz der Software bedeutet nicht, dass die Universitätsschule bei der Vermittlung von Wissen ausschließlich auf digitale Werkzeuge setzt. Das Lernen erfolgt nach wie vor über alle Sinne und Zugänge. Allerdings sollen die Schüler:innen lernen mit digitalen Tools selbstbewusst umzugehen. „Hier profitieren wir von den Erfahrungen, die die Vodafone Stiftung mit ihrer Initiative Coding for Tomorrow sammelt. Die Stiftung ist ein wichtiger Partner für uns“, sagt Prof. Dr. Langner.

Erste positive Resonanz hat die Projektleiterin der Universitätsschule auch schon erhalten: von den Eltern ihrer Schulkinder. „Sie erzählen uns, dass ihre Kinder sehr entspannt sind und die Schule gerne besuchen.“ Das beweist, dass die Kinder Spaß am Lernen haben. „Und genauso soll Schule sein“, freut sich Prof. Dr. Anke Langner.

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