Interview: Mehr Freiheit für nachhaltigen Unterricht
Mit welchen nachhaltigen Themen beschäftigen sich die Schüler:innen?
Das Thema Nachhaltigkeit ist tatsächlich ein Dauerbrenner an unserer Schule. Ein Klassiker nach zwei Jahren Pandemie sind zum Beispiel Luftqualitätsmesser, die automatisch das Fenster öffnen. Auch Lärmampeln haben wir schon mehrere gehabt. Was ich besonders schön fand, war eine `Komplimentendusche‘. Sobald man am Display vorbeigelaufen ist, wurde einem ein nettes Kompliment gemacht. Auch das Thema Upcycling wird immer wieder aufgegriffen. Schüler:innen haben beispielsweise aus Schrottteilen ein Fahrzeug zusammengeschweißt und mit einem alten Mofa-Motor versehen. Das fuhr dann tatsächlich nach drei Tagen. Das war natürlich ein großes Highlight!
Welche Chancen bietet die Digitalisierung, um Schüler:innen zu nachhaltigen Konsument:innen zu erziehen?
Wir versuchen, die Schüler:innen zu mündigen Bürger:innen zu erziehen. Digitale Tablets lernen sie als Multifunktionswerkzeug einzusetzen, um sich zum Beispiel umfassend über ein Thema zu informieren, das in der Schule oder sie privat beschäftigt. Wenn sie konsumieren, dann sollen sie das bewusst tun. Es darf nicht nur cool sein, digitale Werkzeuge zu besitzen. Die Schüler:innen müssen auch wissen, wie die Technik dahinter funktioniert und wie man diese sinnvoll zum Lernen einsetzt.
Wie lassen sich Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Schulunterricht überzeugend verbinden?
Die Schule ist zum Beispiel dabei, die Schulbücher zukünftig digital zur Verfügung zu stellen. Der Weg vom klassischen, zentralen Unterricht hin zur projektgesteuerten, fachübergreifenden Unterrichtsgestaltung ist ein ziemlich dickes Brett und auch schulpolitisch schwierig. Man kann nicht einfach irgendwelche Fächer abschaffen und Projekte digital anleiten.
Wie sähe eine moderne nachhaltige Schule aus?
Meine Wunschvorstellung wäre es, Schulfächer und Bewertungen abzuschaffen. Stattdessen sollte projektbezogener Unterricht stattfinden. Es gibt verschiedene Konzepte dafür, wie zum Beispiel Schüler:innen ein französisches Café aufbauen und leiten. Bisher lernen die Schüler:innen nur auf die nächste Klassenarbeit hin. Systemisches Denken kommt im bestehenden Fächerkanon zu kurz. Das ist nicht nachhaltig. Statt sich nur 45 Minuten lang mit einem Fach zu beschäftigen, wäre es viel nachhaltiger, wenn sich die Schüler:innen über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem bestimmten Projekt beschäftigen.
Brauchen Lehrkräfte spezielle Qualifikationen, um Schüler:innen auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten?
Das Problem sind nicht die fehlenden Qualifikationen. Lehrer:innen sind im Allgemeinen sehr gut darin, sich in neue Dinge einzuarbeiten. Das Problem ist, das wir keine Zeit haben. Andere Länder sind uns in dieser Hinsicht voraus. Es gibt in Finnland ein Modell, dass Lehrkräfte vier Stunden in der Woche dazu verpflichtet, an einer innovativen Unterrichtsgestaltung mitzuarbeiten.
Wenn es bereits Best Practice-Beispiele gibt, warum wird das nicht in Deutschland adaptiert?
Das ist eine gute Frage! Wahrscheinlich kann eine Veränderung nur als `Graswurzelbewegung‘ von unten herbeigeführt werden. Wenn sich Lehrkräfte dafür engagieren und mehr Zeit und Freiheiten für die Ausarbeitung von nachhaltigen, fächerübergreifenden Lernkonzepten hätten, wäre dies ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Marek Czernohous