3. Mai 2022

Interview: „Wir erreichen keine Veränderung, wenn die einfach brav die Schulbank drücken.“

Im Interview mit Deborah Düring, MdB Bündnis 90/Die Grünen

Deborah Düring (Bündnis 90 / Die Grünen) geboren 1994; ehemals Sprecherin der Grünen Jugend Hessen, wurde 2021 das erste Mal in den Bundestag gewählt. Sie ist Masterstudentin der Internationalen Studien / Friedens- und Konfl iktforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Haben Sie den Eindruck, dass Politiker:innen die Stimme der Jugend in den vergangenen Monaten, vielleicht sogar Jahren, zu wenig gehört haben?

Bewegungen wie Fridays for Future haben auf jeden Fall dazu beigetragen, dass junge Menschen Gehör finden und ihre Anliegen sichtbarer werden. Allerdings gibt es eine Lücke zwischen »Gehör finden« und »tatsächlich Veränderungen bewirken«. Das war einer der Gründe, weshalb ich für den Bundestag kandidiert habe. Ich hatte das Gefühl, dass – egal wie viele Menschen wir auf die Straße bringen – unsere Impulse nicht in den Parlamenten ankommen. Das ist aber extrem notwendig, um Veränderungen anzustoßen.

Sie selbst sind 27. Können Sie sich deshalb besser in junge Menschen hineinversetzen?

Auf jeden Fall. Ich komme ja selbst aus dieser Lebensrealität. Im Freundeskreis bekomme ich jeden Tag mit, wie schwer es zum Beispiel ist, eine bezahlbare Wohnung in Frankfurt zu finden – oder einen unbefristeten Job. Genau deswegen ist es so relevant, dass auch junge Menschen in die Parlamente gehen und so ein Abbild der Gesellschaft schaffen. Davon sind wir aktuell noch entfernt. Nicht nur, was junge Menschen angeht. Es fehlen auch BIPoCs, Menschen mit Behinderung oder Menschen ohne Studium. Natürlich versuche ich auch nachzuvollziehen, wie es ist, als Rentner:in in Deutschland zu leben, und führe dazu viele Gespräche. Trotzdem kann ich nicht aus eigener Erfahrung nachempfinden, wie es sich anfühlt, 40 Jahre gearbeitet zu haben und sich jetzt keine Wohnung mehr leisten zu können.

»Vielen fällt es schwer, anzuerkennen,
dass junge Menschen eine Meinung
haben und dass diese Meinung auch
fundiert ist.«

Deborah Düring
MdB (Bündnis 90/DieGrünen)

Im Rahmen der Befragung sagen junge Frauen deutlich öfter als gleichaltrige Männer, dass sie nicht verstehen, wie Politik in Deutschland funktioniert. Woran könnte das liegen?

Zum einen daran, dass wir in der Politik noch immer vor allem Männer sehen. Zum anderen an unserer patriarchalen Sozialisation und daran, dass Männer grundsätzlich dazu erzogen werden, zu glauben, dass sie mehr wissen. Sie tragen dieses Wissen auch viel häufiger nach außen. Dazu kommt sicher, dass wir als Gesellschaft noch nicht das Verständnis von Politik haben, das ich mir wünschen würde. Wenn ich an Infoständen stehe, sagen die Leute oft »Ich bin ja nicht politisch« oder »Ich habe keine Ahnung von Politik«. Und danach erklären sie mir eine halbe Stunde lang, was sie stört und was sich ändern muss. Die meisten verstehen nicht, dass das Gespräch am Küchentisch politisch sein kann, ein Graffiti oder ein Songtext.

Viele junge Menschen erleben Demokratie als schwerfällig und trauen ihr nicht zu, aktuelle Probleme zu lösen …

Auch das liegt sicherlich daran, dass vielen überhaupt nicht richtig klar ist, was Demokratie eigentlich ist und wie Meinungsbildung in demokratischen Prozessen funktioniert. Mitbestimmung an Schulen wird oft darauf reduziert, zu entscheiden, ob die Schultoiletten rosa oder blau gestrichen werden. Ich verstehe, dass die Leute darauf keine Lust haben. Wenn es um Entscheidungen ginge, die am Ende relevante Konsequenzen haben, wäre das etwas anderes. Ich glaube, wenn wir in den Schulen demokratische Prozesse mit allen Konsequenzen zulassen würden, würde es jungen Menschen auch leichter fallen, zu verstehen, dass jede Entscheidung Konsequenzen nach sich zieht – die nicht immer positiv sein müssen. Sie würden verstehen, dass es für eine gute Entscheidung im Vorfeld viele Informationen braucht und viel Raum für Debatten. Und ja: manchmal eben auch Zeit. Ich fürchte allerdings, den Mut, diese umfassende Mitbestimmung zu ermöglichen, haben wir gerade nicht.

»Wir erreichen keine Veränderung, wenn die einfach brav die Schulbank drücken. Veränderungen gibt es dann, wenn Menschen auf die Straße gehen und in den Streik.«

Deborah Düring
MdB (Bündnis 90/DieGrünen)

Warum eigentlich nicht? Woran liegt es, dass wir nicht mutiger sind?

An den bestehenden Machtstrukturen und daran, dass Menschen, die Macht haben, sie nur sehr ungern abgeben. Außerdem an unserem Verständnis von Partizipation. Das fängt schon damit an, welche Argumente und welches Wissen wir als Gesellschaft akzeptieren. Vielen fällt es schwer, anzuerkennen, dass junge Menschen eine Meinung haben, und dass diese Meinung auch fundiert ist. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, glaube ich: Wem hören wir eigentlich zu? Wessen Interessen zählen? Wessen Wissen nehmen wir ernst?

86 Prozent der Jugendlichen glauben nicht, dass künftige Generationen es besser haben werden als sie selbst. Die meisten blicken eher pessimistisch in die Zukunft …

Da wäre es spannend zu wissen, von welchem Niveau die Jugendlichen jeweils ausgehen. Es gibt junge Menschen in Deutschland, denen es sehr, sehr gut geht. Gleichzeitig gibt es echt viele, denen es überhaupt nicht gut geht. Sie wachsen in Armut auf und kommen da aufgrund der bestehenden Strukturen nicht raus. Ich glaube, dass man das verändern kann und auch muss – sonst würde ich einen anderen Job machen. Allerdings muss man dafür strukturelle Veränderungen einfordern. Leider vermittelt unser System den Menschen häufi g, dass sie keine Veränderung schaffen können. Da sagt man dann zu den Aktivist: innen der Fridays-for-Future-Demos »Geht mal in die Schule, anstatt zu demonstrieren!« So ein Quatsch. Wir erreichen keine Veränderung, wenn die einfach brav die Schulbank drücken. Veränderungen gibt es dann, wenn Menschen auf die Straße gehen und in den Streik. Ich glaube, wenn wir an den Punkt kämen, an dem junge Menschen realisieren, dass sie Veränderungen gestalten können, werden sie vielleicht optimistischer in die Zukunft blicken. Ich bin der festen Überzeugung, dass es den Menschen in einigen Jahren besser gehen muss, aber eben in Summe – nicht nur den Menschen in Deutschland, sondern weltweit.

Fotonachweise

Victor Martini

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