Interview: „Kinder sollten lernen, wie sie selbst ihre Rechte wahrnehmen, Gehör finden und als Bürger:innen Wirkung entfalten können.“
Unsere Daten zeigen, dass sich junge Menschen mit einem niedrigen formalen Bildungshintergrund weniger über Politik informieren und seltener das Gefühl haben, Politik beeinflussen zu können. Wie können Politiker:innen diese jungen Männer und Frauen erreichen?
Als Politiker:in muss man sich immer wieder fragen: Wie kommuniziere ich Entscheidungen? Viele junge Abgeordnete nutzen Social Media jeden Tag und versuchen dort, möglichst viele Menschen mitzunehmen und Politik niedrigschwellig zu erklären. Das ist sicher eine Möglichkeit. Ich war im Bundestagswahlkampf viel in Hamburg- Billstedt und Hamburg-Wilhelmsburg unterwegs – also in Stadtteilen, die viele schon abgeschrieben haben. Dort leben viele Menschen mit Migrationshintergrund, die oft schlechte Bildungsperspektiven haben. In meinen Flyern habe ich gezielt Themen aufgenommen, die für diese Menschen wichtig sind – zum Beispiel Talentschulen und die Abschaffung der Zuverdienstgrenzen bei Hartz IV. Das ist extrem gut angekommen. Auch deshalb, weil viele Politiker:innen nicht nach Billstedt gehen und die Menschen dort nicht als relevante Zielgruppe begreifen. Ihre Bedürfnisse und Sorgen werden selten gehört, dabei ist für die jungen Leute dort Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit besonders wichtig.
Welche Kanäle und Formate helfen Ihnen, im digitalen Raum in Kontakt mit jungen Menschen zu kommen?
Ich nutze unterschiedliche Plattformen für unterschiedliche Zielgruppen. Wenn ich etwas bei Facebook poste, gehe ich nicht davon aus, dass es jemand unter 30 liest, der mir nicht sowieso schon folgt. Mein Hauptkanal ist Instagram – einfach, weil es mir auch am meisten Spaß macht. Über Reels kann ich zum Beispiel sehr gut Leute erreichen, die mir noch nicht folgen und sich nicht so für Politik interessieren. Oft poste ich auch Videos, die ein bisschen lustiger und niedrigschwelliger sind, um erst mal Interesse zu wecken. Als junge Politikerin sehe ich mich auch in der Verantwortung, explizit Inhalte für junge Menschen zu produzieren. Es gibt genug Politiker:innen, die ausschließlich für eine ältere Zielgruppe kommunizieren.
Sehen Sie Wege oder Formate, um im Besonderen junge Frauen besser anzusprechen und ihr Interesse an Politik zu wecken?
Ich glaube, dass Vorbilder immens wichtig sind, und zwar nicht nur in der Politik. Es gibt zum Beispiel mehr und mehr Schauspielerinnen, die sich zu Wort melden und politisch aktiv werden. Dabei ist es essenziell, dass wir Frauen – wie es leider oft passiert – nicht auf ihr Engagement im ehrenamtlichen Bereich reduzieren. Bei der Tafel oder der Caritas gibt es beispielsweise sehr viele Frauen, die sich engagieren und damit einen viel größeren Beitrag zu politischen Veränderungen leisten, als mitunter sichtbar wird. Aber wenn wir nicht nur ein Pflaster auf die Verhältnisse kleben, sondern sie umwälzen wollen, dann müssen Frauen auch in die aktive Politik gehen. Die gute Nachricht ist: Dort warten schon viele, die sie unterstützen können. Ich möchte junge Frauen daher dazu ermutigen, sich zusammenzutun und Netzwerke zu bilden. Gemeinsam können wir unheimlich viel bewegen – und es gibt viel zu tun!
86 Prozent der Befragten glauben nicht, dass es künftigen Generationen besser gehen wird. Blicken Sie selbst eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft?
Wir haben das Glück, bisher in einem weitestgehend friedlichen Europa aufgewachsen zu sein, mit einer europäischen Union und mit relativ guten ökonomischen Verhältnissen. An dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sehen wir aber leider, wie schnell Frieden und Demokratie auf dem Spiel stehen können. Außerdem sind die Finanzkrise, der Brexit, die Klimakrise und die Corona-Pandemie Teil unseres Lebens, deswegen kann ich die Sorgen nachvollziehen. Umso wichtiger ist es, dass junge Menschen ihre Zukunft in die Hand nehmen.
Fotonachweise
Patrick Lux