24. APRIL 2020

Mehrheit der Eltern in Deutschland fühlt sich Homeschooling auf Dauer nicht gewachsen

Die Debatte um Schulöffnungen in vollem Gange – doch welche Perspektiven bieten die Erfahrungen von Eltern während des coronabedingten Homeschoolings? Dr. Johanna Börsch-Supan, Leiterin Strategie und Programm der Vodafone Stiftung, äußert ihre Gedanken zu den Ergebnissen einer Eltern-Befragung der Vodafone Stiftung und erklärt, welche Implikationen sich daraus für die kommenden Wochen und Monate ableiten:

Mitte März begann für die meisten Familien in Deutschland eine neue Realität: Schul- und Arbeitsleben verlagerten sich plötzlich nach Hause. Seitdem sind Homeschooling und Homeoffice die neuen Taktgeber im Familienleben. Eine neue Umfrage der Vodafone Stiftung unter Eltern schulpflichtiger Kinder zeigt, dass viele Eltern die akute Phase der häuslichen Lernbegleitung pragmatisch und oft durchaus souverän meistern, jedoch blicken sie mit Sorgen auf die kommenden Wochen und Monate: Die Mehrheit (73 Prozent) kann sich nicht vorstellen, die Lernunterstützung zu Hause über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.

Schon jetzt sind viele Familien am Limit: So gibt fast die Hälfte (43 Prozent) der Eltern an, dass es für sie aktuell schwierig ist, die nötige Zeit zur Unterstützung des Lernens ihrer Kinder aufzubringen. Wie auch? Häufig muss parallel zum Arbeitsmeeting per Videoschalte die Deutschaufgaben am Tablet, das Mittagessen und die Betreuung anderer Kinder organisiert werden. Zudem müssen sich viele Mütter und Väter erstmal selbst (wieder) in Dreisatz, Grammatikregeln oder den Zitronensäurezyklus einarbeiten – mir ging es selbst nicht anders. Fast die Hälfte (46 Prozent) der Eltern mit formal niedriger Bildung und immerhin fast ein Viertel (22 Prozent) derer mit formal hoher Bildung geben an, dass ihnen Kenntnisse und Wissen fehlen, um ihre Kinder beim Lernen zu Hause gut zu unterstützen. Damit wächst auch die Sorge um die Bildungszukunft ihrer Kinder: Fast zwei Drittel der Eltern mit formal niedriger Bildung (63 Prozent) äußern die die Befürchtung, dass ihre Kinder den Anschluss an den Schulstoff verlieren, bei den Eltern mit formal hoher Bildung sind es immerhin auch 45 Prozent.

Unbegründet sind diese Sorgen nicht, denn die allermeisten Schulen haben in den letzten Wochen über die digitale Bereitstellung von Lernstoff hinaus – meist in Form endloser Emailketten gespickt mit vielen Anhängen – im Vergleich wenig interaktive Lernformate und Unterstützung bei der Bearbeitung von Unterrichtsmaterialien angeboten: Nur 7 Prozent der Schüler:innen nimmt nach Angaben der Eltern täglich an digitalem Unterricht teil. Dabei ist es gerade der Austausch mit den Klassenkamerad:innen und den Lehrkräften, der laut der überwiegenden Mehrheit der Eltern (88 Prozent), den eigenen Kindern fehlt.

STATEMENT

Die Coronakrise zeigt: Schule ist nicht nur ein Ort, an dem Wissen und Kompetenzen vermittelt werden. Schule ist vor allem auch ein Ort sozialer Beziehungen. Von Kindern und Jugendlichen untereinander, aber auch von Schülerinnen und Schülern mit ihren Lehrkräften.

Dr. Johanna Börsch-Supan, Leiterin Strategie und Programm, Vodafone Stiftung

Es ist völlig offen, wie lange die Schulschließungen noch notwendig sein werden oder wie häufig wir in den kommenden Monaten zwischen Homeschooling und Präsenzunterricht hin- und herwechseln werden. Aus Sicht der Eltern sind aber zwei Punkte für die Zukunft wichtig:

Zum einen müssen Beziehungen wieder mehr in den Fokus der Bildungsanstrengungen rücken. Es braucht interaktive virtuelle Formate, um der sozialen Komponente von Lernen wieder mehr Bedeutung zu geben. Lehrkräfte sind wichtige Bezugs- und oft auch Vertrauenspersonen für Ihre Schüler:innen. Sie werden derzeit vermisst.

Zum anderen braucht es mehr Struktur. Als wichtigsten Ansatzpunkt nennen die befragten Eltern eine bessere Organisation und Unterstützung durch Schulen und Lehrkräfte. Es braucht von Seiten der Politik und Bildungsverwaltung verbindlichere Fahrpläne für die Schulen, was Inhalte und Tools angeht. Damit die Bildungsaussichten vieler Kinder in Deutschland nicht vom persönlichen Glück und dem Einzelengagement von Schulen und Lehrkräften abhängen.

Dieser Beitrag wurde am 24. April 2020 auf LinkedIn veröffentlicht.

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