29. März 2021

„Politik, lass die Jugend im Dark Social nicht allein!“

Ein Kommentar des Politikberaters und Bloggers Martin Fuchs

Unser Kommunikations- und Informationsverhalten hat sich in den vergangenen Jahren fundamental verändert. Es scheint, als würde die gesellschaftliche Ausdifferenzierung und Heterogenisierung auch bei der Wahl der Plattformen, Kanäle und Netzwerke keinen Halt machen: Je nach Alter, Bildungsgrad, Wohnort, Peergroup oder politischer Orientierung entscheiden wir uns, wo und wie wir uns politisch informieren und vor allem mit wem wir digital diskutieren. Das Bild der Filterblase ist hier allgegenwärtig.

Umso erstaunlicher ist es, dass es in Deutschland einen digitalen Ort zu geben scheint, der sich nicht nur über alle Altersgruppen hinweg, sondern auch innerhalb sehr ausdifferenzierter, digital affiner Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern einer breiten Beliebtheit erfreut: Messengerdienste. Und hier speziell WhatsApp.

Über den gesellschaftlichen Einfluss von sozialen Netzwerken gibt es seit Jahren eine breite Debatte, unzählige Studien, Wirkungsanalysen und mittlerweile auch zunehmenden politischen Druck auf die Plattformbetreibenden, um die negativen Auswüchse der Intermediäre einzuhegen. Dabei werden oftmals Messengerdienste ausgeblendet. Unter anderem, weil belastbare Daten zur Nutzung fehlen und durch den geschlossenen Charakter vieler Dienste („Dark Social“) eine Erforschung extrem erschwert wird.

Die Vodafone Stiftung schließt nun endlich einige Erkenntnislücken und legt mit ihrer Studie „Generation Messenger“ erstmals belastbare Daten zur Nutzung von Messengerdiensten in der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland vor.

Die Ergebnisse zeigen: Messenger sind aus dem Alltag von Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Fast alle nutzen mindestens einen Dienst, 76 Prozent von ihnen mehr als eine Stunde täglich und 23 Prozent sogar mehr als vier Stunden. Dabei interessant: Besonders intensiv nutzen junge Menschen mit formal niedriger Bildung Messengerdienste. 37 Prozent von ihnen verbringen mehr als vier Stunden pro Tag damit, unter denjenigen mit formal hoher Bildung sind es dagegen nur 17 Prozent.

Mit weitem Abstand am beliebtesten ist dabei der auch in allen anderen Altersgruppen meistgenutzte Dienst WhatsApp. 96 Prozent der Befragten gaben an, WhatsApp sogar täglich zu nutzen. An zweiter Stelle folgt Snapchat: Auch wenn diese App nach anfänglichem Hype in der medialen Berichterstattung fast nicht mehr vorkommt und sich auch die Politik hier komplett zurückgezogen hat, geben immer noch 77 Prozent der jungen Nutzer:innen an, sie zu verwenden. Messengerdienste, die unter Datenschutzgesichtspunkten Vorteile bieten, wie etwa die Dienste Signal und Threema, spielten für die Kommunikation junger Menschen zum Zeitpunkt der Befragung im September 2020 kaum eine Rolle.

Dies kann sich mittlerweile etwas verschoben haben, Anfang des Jahres 2021 war eine größere Absetzbewegung von WhatsApp zu alternativen Diensten wie Telegram und Signal weltweit und in Deutschland zu beobachten.

STATEMENT

„Gesellschaftspolitisch problematisch ist, dass WhatsApp und Social Media Messenger für die Verbreitung von Falschnachrichten unter jungen Menschen eine entscheidende Rolle spielen.“

Martin Fuchs
Politikberater und Blogger

Bei der Nutzung von Messengerdiensten stehen der private Austausch von Nachrichten und Informationen sowie für schulische und berufliche Dinge im Vordergrund. Um das Nachrichtengeschehen zu verfolgen oder sich über politische Inhalte zu informieren, spielen WhatsApp und Co. aber bisher nur eine geringe Rolle. Lediglich 4 (WhatsApp) bis 9 Prozent (Telegram) der befragten Nutzer:innen nutzen die Dienste, um sich hier auch über das Weltgeschehen zu informieren. Klassische Social-Media-Plattformen werden aktuell noch viel intensiver als politische Informationsquelle genutzt. Auch folgen nur wenige junge Menschen aktuell Politiker:innen und Parteien auf Messengern. Dies liegt sicherlich auch daran, dass es in der Breite bisher nur wenige gute Informationsangebote der Politik gibt.¹ Wenn es aber darum geht, politische Themen zu diskutieren, ist das Bild weniger eindeutig. 41 Prozent der Befragten würden politische Themen eher über soziale Medien diskutieren, obwohl die Inhalte dort öffentlicher sind, 29 Prozent ziehen hier aber auch den geschützten Raum der Messengerdienste vor. Es ist also davon auszugehen, dass sehr viel mehr politische Inhalte z.B. in privaten Dialogen ausgetauscht und diskutiert werden.

Gesellschaftspolitisch problematisch ist, dass WhatsApp und Social-Media-Messenger für die Verbreitung von Falschnachrichten unter jungen Menschen eine entscheidende Rolle spielen. 61 Prozent aller jungen Messenger-Nutzer:innen haben nach Eigenaussage bereits Falschnachrichten zugesandt bekommen. Als wichtigste Quelle werden Bekannte aus Schule, Ausbildung, Studium oder Beruf und Freund:innen genannt. Das ist längst nicht nur problematisch, weil privaten Kommunikationsinhalten und persönlichen Gesprächen bei Nutzer:innen eine sehr hohe Vertrauenswürdigkeit attestiert wird.² Die Verbreitung von Fake News über Messenger ist im Gegensatz zu sozialen Medien auch deutlich schwieriger nachzuverfolgen.

Mit Blick auf das Superwahljahr 2021 bedeuten diese Befunde, dass es eine viel intensivere und breitere Debatte über den Einfluss von Messengerkommunikation auf die Meinungsbildung geben muss. Hierfür liefert die vorliegende Studie wichtige Impulse mit Blick auf Jung- und Erstwähler:innen.

STATEMENT

„Die Politik muss dringend Konzepte und Formate entwickeln, um auch auf diesen Plattformen sichtbar zu sein und seriöse Informationen dort bereitzustellen, wo Menschen große Teile ihres Tages kommunikativ verbringen.“

Martin Fuchs
Politikberater und Blogger

1. Es braucht mehr Monitoring und Konzepte der Politik und ihrer Organe
Die Politik muss dringend Konzepte und Formate entwickeln, um auch auf diesen Plattformen sichtbar zu sein und seriöse Informationen dort bereitzustellen, wo Menschen große Teile ihres Tages kommunikativ verbringen. Zudem braucht es bessere Monitorings, um zu verstehen, wo und wie sich Themen, Debatten und ggf. Falschinformationen entwickeln – auch, um von ihnen nicht überrascht und überrollt zu werden. Dazu gehört auch, dass Nutzer:innen viel stärker die Chance bekommen müssen, mögliche Desinformation zu melden und im Gegenzug z. B. mit Faktenchecks schnell versorgt werden. Die SPD hat mit dem „FaktenFunk“ (https://www.spd.de/faktenfunk/) zuletzt solch ein Format entwickelt. Nutzer:innen können hier Hoax und Desinformation, die sie in ihren Chats und Gruppen mitbekommen, niedrigschwellig einsenden. Daraufhin werden zeitnah durch die Kommunikationsabteilung der Partei Faktenchecks zur Verfügung gestellt, die dann wiederum im Freundes- und Bekanntenkreis persönlich weiterverbreitet werden können. Eben dort, wo die Desinformation zuerst wahrgenommen wurde.

2. Medienkompetenz, Medienkompetenz, Medienkompetenz
Für die Medienkompetenzvermittlung sollten medienpädagogische Angebote – nicht nur für junge Zielgruppen – für Messenger massiv ausgebaut werden. Sowohl Prebunking- als auch Debunking-Formate sollten viel aktiver am Ort der Entstehung von Unsicherheiten ansetzen, um nicht den gut organisierten und sehr erfolgreichen Verbreiter:innen von Fehlinformationen den Messenger-Raum zu überlassen. Bisher sind nur sehr wenige Konzepte bekannt, aufsuchende digitale Jugendarbeit ist so gut wie nicht vorhanden. Im Bereich Counterspeech gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Projekten, die in sozialen Netzwerken wirken. Diese Konzepte sollten für Messenger fruchtbar gemacht werden und die Zivilgesellschaft sollte aktiv unterstützt werden, um Hassrede, Mobbing und Falschnachrichten zu bekämpfen.

Der Blick muss sich also viel stärker weiten, über die bekannten großen und öffentlich einsehbaren Social-Media-Plattformen hinaus – zumal sich am Beispiel von Telegram sehr gut zeigt, dass einige Messenger längst Mischformen aus Individualkommunikation und Massenkommunikation herausbilden. In Gruppen und Kanälen können mit einer Nachricht Hunderttausende Menschen erreicht werden. Bisher sind diese Angebote nicht wie Social Media reguliert. Die Frage, ob Telegram unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) fällt, wird in Fachkreisen gerade diskutiert. Diese Debatte sollte unbedingt in den Parlamenten und auf Podien sachlich und möglichst zeitnah geführt werden.³

Die Potenziale und Chancen für die Politik, insbesondere junge, bildungsferne, politisch wenig interessierte und wenig kritische Bürger:innen zu erreichen und Vertrauen aufzubauen, sind bisher nicht ansatzweise gehoben. Das Superwahljahr wäre ein guter Startschuss, dies zu ändern.

Mehr Informationen rund um das Thema Messengerdienste liefert unsere aktuelle Studie:
https://www.vodafone-stiftung.de/generation-messenger/

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