5. Januar 2021

My Badges: Schauen, was Schüler:innen wirklich können

Benotung neu denken? My Badges ist eines der ausgezeichneten Projekte des #wirfürschule-Hackathons. Das Projekt, eine Kooperation der Jungen Tüftler gGmbH, re:edu und der Universität Münster, hat ein digitales Feedback-System erarbeitet, das ergänzend zu Schulnoten eingesetzt werden kann und individuelle Lernfortschritte sichtbar macht. Wir haben uns mit Teamlead Dr. Julia Kleeberger über My Badges, ihre Implementierung und das Potenzial hinter der Idee unterhalten.

Hallo Julia, erzähl uns doch bitte, wie die Idee zu My Badges entstanden ist.

Aus unserer Sicht gibt es zwei grundsätzliche Aspekte des schulischen Bildungssystems, die ein alternatives, mindestens ergänzendes Feedbacksystem für Schülerinnen und Schüler notwendig machen: Zum einen wird, u.a. von der Kultusministerkonferenz, die Vermittlung von Kompetenzen des 21. Jahrhunderts gefordert, diese werden jedoch in keiner Weise in unserem Notensystem abgebildet. Zum anderen stellt Schule häufig ein standardisiertes Format dar, in dem Schülerinnen und Schüler, denen es leichtfällt, zu lesen und Sachen abstrakt zu begreifen, eher erfolgreich sind und andere durch das Raster fallen. Dabei wird den Kindern und Jugendlichen wenig Möglichkeit gegeben, ihre persönlichen Stärken zu erkennen und diese gezielt auszubauen. Vor diesem Hintergrund ist die Idee für My Badges entstanden. Wir wollten Lehrkräften ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie den individuellen Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler abseits von Noten aufzeigen, und diesen ermöglichen können, selbst Verantwortung über ihren Lernprozess zu übernehmen: Zu sehen, was sie können, wo sie stehen, und zu entscheiden, welche Kompetenzen sie weiter ausbauen möchten.

Wie seid ihr dann vorgegangen?

Unser erstes Konzept haben wir zunächst über eine User-Befragung und technisches Ausprobieren in Kooperation mit dem Hasso-Plattner-Institut und der Universität Münster getestet. Als wir die Bestätigung hatten, dass das Projekt machbar und gewünscht war, sind wir damit zum #wirfürschule-Hackathon gegangen. Dort haben wir die Systematik hinter den Badges entwickelt. Derzeit beschäftigt uns vor allem ihre Umsetzung.

Und wie sieht My Badges jetzt aus?

My Badges ist ein offenes, skalierbares System, welches Schulen begleitend einsetzen können, um Lernfortschritte bei Unterrichtsprojekten, aber auch beim Besuch außerschulischer Veranstaltungen oder dem Online-Lernen zu dokumentieren. Dabei beziehen sich die Badges auf unterschiedliche Aspekte: Es gibt Badges für Metakompetenzen, für fachspezifische Kompetenzen, Badges, die man einfach im Sinne einer Dokumentation der Arbeit bekommt, sowie Badges von anderen Schülerinnen und Schülern als Feedback. Um das System zu nutzen, kann die Lehrkraft einfach ein Projekt online anlegen, ihm Kompetenzen zuordnen und sie später an die Schülerinnen und Schüler vergeben. Dabei ist My Badges systemübergreifend und damit nicht an eine Lernplattform gebunden und skalierbar. Im Rahmen des #wirfürschule-Hackathons haben wir das System live gebracht. Nun ist unser Prototyp unter www.mybadges.org für alle zugänglich und nutzbar.

Wie schätzt Du die gesellschaftliche Relevanz Eurer Lösung ein?

Ich denke, dass die gesellschaftliche Wirkung von My Badges enorm sein kann. Wir sehen absolut den Bedarf für dieses Thema – auch explizit jetzt zu Zeiten von Corona. Denn Lehrkräfte brauchen neue Möglichkeiten, ihre Schülerinnen und Schüler im Lernprozess zu begleiten. Darüber hinaus ist das Projekt für mich ein fantastischer Schritt, um informelles und formales Lernen zu verbinden und somit bestehende Bildungsungerechtigkeit zu mindern. Denn wir können auf die tatsächlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gucken und so viel stärker und individueller Lebenschancen eröffnen. So können wir Fähigkeiten, die außerhalb des Schulalltags erworben oder teilweise sogar in der Schule vermittelt aber nicht bewertet werden, berücksichtigen. Wichtig ist, dass Schülerinnen und Schüler erkennen können, wo ihre Stärken liegen, und dass sie motiviert werden, ihre Fähigkeiten, wie etwa Teamfähigkeit oder lösungsorientiertes Denken, immer weiter auszubauen. Langfristig kann so ein System dann beispielsweise auch die Quote von Bildungsabbrecherinnen und -abbrechern senken, weil die Leute schon viel früher wissen, was ihre Kompetenzen und Stärken sind und wo sie sich hin entwickeln wollen. Sie können viel selbstmotivierter über ihren eigenen Lernprozess entscheiden, was nicht zuletzt auch ein wichtiger Bestandteil für das Life Long Learning ist: In unserer schnelllebigen Zeit ist es wichtig, dass wir auch nach der Schule uns ständig weiterentwickeln und neue Kompetenzen erwerben.

Wenn Du nun auf Euren bisherigen Umsetzungsprozess mit My Badges zurückschaust: Was waren für Euch bisher die größten Hürden?

Nach dem Hackathon mussten wir uns zunächst neu strukturieren, denn es war schlicht unmöglich das Projekt in der gleichen Intensität wie während des Hackathons in ehrenamtlicher Arbeit fortzuführen. Das war zeitweise sehr frustrierend für uns, weil wir über ein starkes, gut funktionierendes Team verfügen und es lediglich an fehlenden monetären Ressourcen zu scheitern schien. Wir hatten die Befürchtung, mit unserer Idee vielleicht noch ein paar Jahre zu früh dran zu sein, wenn auf politischer Ebene gerade noch grundsätzliche Fragen wie die technische Ausstattung der Lehrkräfte im Mittelpunkt standen. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass dieser Ansatz relevant und leicht umsetzbar ist – zudem wird er ähnlich wie Wikipedia und Co. durch die Community gestaltet. Daher haben wir in den letzten Wochen vor allem Möglichkeiten etwa zur Teilnahme an Veranstaltungen zum Thema Bildung genutzt, um das Projekt bekannter zu machen. Spannenderweise werden wir jetzt auch durch einen #wirfürschule-Partner bei der Programmierung mit unterstützt und hoffen, diese Kooperation noch weiter ausbauen zu können.

Glückwunsch! Wie geht es jetzt insgesamt mit dem Projekt weiter?

Für die weitere Entwicklung und Stabilisierung der Lösung kommt My Badges seit Oktober in Schulworkshops im Futurium zum Einsatz und wird ab Dezember erstmals in einer Pilotschule in Berlin und NRW umgesetzt. Nun sind wir auf der Suche nach weiteren Pilotschulen, um das Projekt auszubauen und zu skalieren. Vor allem aber benötigen wir eine Projektförderung, um die Weiterentwicklung des Systems vorantreiben zu können. Ende September haben wir My Badges außerdem vor den Kultusministerien der Länder vorgestellt und sehr positives Feedback erhalten. Ich hoffe, dass sich hier noch die ein oder andere Unterstützung ergeben wird.

Das hoffen wir auch. Vielen Dank für das interessante Gespräch und alles Gute!

Die für diesen Beitrag verwendeten Illustrationen stammen von My Badges.

Über #wirfürschule

Für ein erfolgreiches Schuljahr 2020/21 und neue Lösungen für eine zukunftsgewandte Schule haben der Verein Digitale Bildung für Alle e.V. und die Lehrer*innen-Community von lehrermarktplatz.de vom 08. bis 12.06.2020 den Hackathon #wirfürschule ins Leben gerufen. Ziel des bundesweit ersten Bildungs-Hackathons ist es, funktionierende – digitale und nicht-digitale – Lösungen zu entwickeln, um das nächste Schuljahr gemeinsam zu meistern sowie Schule von morgen neu zu denken und zu gestalten.
Die Vodafone Stiftung gehörte zu den ersten Förderern der Initiative und unterstützte den Hackathon mit Know-How sowie finanziellen Ressourcen. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung (BMBF) Anja Karliczek, Dorothee Bär als Staatsministerin für Digitalisierung und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Dr. Stefanie Hubig übernehmen sowohl für den #wirfürschule-Hackathon 2020 als auch 2021 die Schirmherrschaft. Der zweite Hackathon wird vom 14. bis 18.06.2021 ausgetragen.

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